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Kabinett 5: Revolution und Humanismus. Entzweiung zwischen Voß

und dem Grafen zu Stolberg

Die Französische Revolution beseitigt in einer Reihe gesetzgeberischer Akte das

Feudalsystem (zwischen dem 4. und11. 8. 1789), proklamiert Menschen- und Bür-

gerrechte (26. 8. 1789), schafft den erblichen Adel ab (19. 6. 1790) und verkündet

mehrere adelsfeindliche Verfassungen (1791, 1793, 1795). Voß stimmt dem Ra-

dikalismus solcher Grundsätze mit seinem „Hymnus der Freiheit“ zu. Als Folge

der französischen Revolution gerät die gesellschaftliche Stellung des Adels auch

in Deutschland unter Druck.

Einer der vertrauten Freunde, dem Voß sich seit der Zeit des Göttinger Hains auch

politisch verbunden fühlte, war Friedrich Graf zu Stolberg (1750–1819). Unter-

schiedliche Haltungen zu den Gleichheitsideen entzweien die Freunde. Es kommt

zum Bruch, als Stolberg 1800 auch noch zum Katholizismus übertritt. Fast 20

Jahre später, da in Europa wieder der alte Adel regierte, wirft Voß dem einstigen

Weggefährten Verrat an den einst geteilten Idealen von Freiheit, Recht und Gleich-

heit vor.

Wir inszenieren das Fazit des von Voß sicher ablaufgetreu berichteten Streits und

nutzen ein rasch aufblitzendes, von Voß keineswegs überspieltes, sondern pole-

misch ausgeschlachtetes Bild: Stolberg „als warmbeschuheter auf den barfüßigen

Freund herabblickend“.

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Als Hintergrundreminiszenz ist sicher der Kothurn mit

in Erwägung zu ziehen, ein weicher, hochgeschlossener Bühnenschuh für Schau-

spieler aristokratischer Rollen, der später zum Stelzschuh geriet. Konkret ging es

im Streit, der im Schuh sein Zeichen findet, um folgendes:

„[…] Erbittert durch solche Ansichten, die im Jahr 1792 mein ‚Gesang der Neu-

franken für Gesetz und König‘ aussprach, trug Stolberg mir seine Galle zu und

behauptete, der Adel sei ein edlerer Menschenstamm von eigenem Ehrgefühl, er-

haben über die niedrige Denkart der Unadligen und dadurch zu Vorzügen berech-

tigt. ‚Wer Teufel!‘ rief er, ‚kann uns nehmen, was unser ist?‘ – ‚Wer’s euch gab‘,

sagte ich, ‚die Meinung.‘ Im Weggehn rief er durch die halboffene Türe zurück:

‚Verzeihn Sie mir meinen Schuh, ich verzeih Ihnen den Barfuß.‘“

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Dies vermag einen Fingerzeig auch für die Ausstellung zu geben. Uns die-

nen der atlasbeschleifte barocke Schuh und der Barfuß des Freigelassenen als

Spiel-Elemente, die den Besucher an die kommentierende Tafel locken sollen

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Zit. nach Hedwig Voegt: Voß. Werke in einem Band. S. 311.

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Ebd., S. S. 313.