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Voss betont auch für „Junker Kord“, seine Idyllenschreiberei habe einen prakti-

schen Bezug: „Ich habe hier eine gereimte Junkeridylle gemacht, die den Junkern

wie Englischer Senf in der Nase kribbeln wird.“

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Diesen in seiner Länge über-

schaubaren Text legen wir auf ein Lesepult. In dessen Oberfläche arbeiten wir

Vossens Metapher vom englischen Senf ein.

Die Inszenierung im Raum unterstützt die Besucher dabei, soziale Lebenswahr-

heit in der Region und deren künstlerische Behandlung durch Voss zusammen zu

sehen. Sie akzentuiert zum einen den inhaltlichen Realismus: Sie zeigt den Para-

graphen 19 des berüchtigten landesgesetzlichen Erbvergleichs von 1755, dieser

zementierte die Leibeigenschaft vier Jahre nach Vossens Geburt noch einmal, und

kartographiert die Güterverteilung in Mecklenburg. Die symbolische Sklavenfes-

sel erinnert an den rhetorischen Trompetenstoß im „Gesellschaftsvertrag“ (1762)

des namhaften Aufklärers Rousseau: „Der Mensch wird frei geboren, und überall

liegt er in Ketten“.

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Dass die natürliche Freiheit des Menschen in eine bürgerliche

einmünden müsse, verlangten auch deutsche Aufklärer. Und sie verweist darauf,

dass Voss die antike Literaturgattung Idylle der ländlichen Realität seiner Zeit ge-

öffnet hat. Ist diese soziale Welt mit Attributen des Dunklen behaftet, erscheinen

die Utopien im hellen Licht.

Kabinett 4:

Auf idealisiertem heimischen Boden. Bürgerliche Pfarrhausidylle

Zunächst ein Kommentar zur Brücke zwischen den Brautbildern

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und unserem

Objektarrangement, das mentalitätsgeschichtlich aussagekräftig ist. Der Briefaus-

gabe, die SohnAbrahamVoß 1830 herausgab, hatte Ernestine Voß Beilagen hinzu-

gefügt, die ihre Erinnerungen an das erste Jahr in Wandsbek enthalten:

„Zu unsrer Hausökonomie gehörte unter andern, dass Abends nur

ein

Licht an-

gezündet ward. Da Voß immer stehend am Pult arbeitete, und dazwischen auf

und abging, entweder schweigend oder mittheilend, was in ihm lebte, ich aber

für die zierlichen Stücke mit der Nadel der Helle wohl nicht entbehren konnte;

so ersannen wir die Aushülfe, neben das Pult unsern Eßtisch und auf diesen für

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Voß, 21. Juli 1783 an seinen Freund, Abraham Peter Schulz, Komponist. Zit. nach Helmut Jürgen

Eduard Schneider: Bürgerliche Idylle: Studien zu einer literarischen Gattung des 18. Jh. am Bei-

spiel von J.H. Voß, Bonn 197, S. 69.

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Jean-Jaques Rousseau: Der Gesellschaftsvertrag, Leipzig 1978, S. 39.

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Die Originale, Öl auf Leinwand, von Georg Friedrich Adolph Schöner 1797 gemalt zu Halberstadt,

befinden sich im Gleimhaus in Halberstadt.