
477
de zu befähigen.
41
„Thorheiten rohe(r) Junkerschaft“
42
diagnostiziert er als fatalen
Kreislauf
43
, in einer Fußnote einräumend, dass es in England und auch schon in
Deutschland vereinzelt bessere Vertreter des Adels gäbe. In späteren Dichtungen
wird dieser Kreislauf aufgebrochen. Wir müssen fragen, in welcher Weise und mit
welchen Lösungen/Perspektiven? Der Idyllenzyklus, der Vossens Entwicklung von
1770 bis 1800 widerspiegelt, weist mit seinen Teilen „Die Leibeigenen“, „Die Er-
leichterten“, „Die Freigelassenen“ einen Fortschritt auf, gegeben durch die chro-
nologische Abfolge der Jahreszeiten (Frühjahr bis Herbst) und durch Handlungs-
schritte. In den „Freigelassenen“ verzichtet ein junger, in der Schweiz und England
gebildeter Baron auf einen Teil seiner Herrschaftsrechte den Untertanen gegenüber.
Er beruft sich auf die Freiheit der Pächter in England und der Marschenbauern. Mit
dem Herrn dieser Idylle schiebt Voß seiner defizienten Gegenwart ein Maß unter.
44
Unter einem Bildverweis auf den Penzliner Obelisken, errichtet zur Erinnerung
an Ferdinand von Maltzans Freilassung seiner Leibeigenen am 18. Oktober 1816,
befindet sich ein Lupenpiktogramm als Explikationsmarker.
45
41
Es finden sich in dieser Dichtung Zeilen wie: „Der Bauer und der Bürger wird Kanalj’ und Pack
betitelt/ und seinem Anwachs früh die Menschheit ausgeknittelt./ Schulmeister, spricht er, macht
die Buben nicht zu klug!/ Ein wenig Christentum und Lesen ist genug! Adrian Hummel (Hg.): J. H.
Voß. Ausgewählte Werke, S.141.
42
Siehe Vossens Fußnote 1 zu „Junker Kord“. In. Adrian Hummel (Hg.): J. H. Voß, S. 136. Voß inten-
diert auch hier komische Satire, hoffend: „Nicht nur in England, auch in Deutschland gibt es bereits
die „besseren des Adels“, längst gewohnt mitzulachen. Damals konnte Voß noch auf Stolberg zählen.
43
Als Hans die von ihm ins Auge gefasste Brandschatzung mit Hinweis auf die unschuldigen Kinder
im Herrenhaus abzuwenden sucht, entgegnet Michel: „Die Wolfsbrut? Fällt denn der Apfel/ Weit
vom Stamm? Und heult sie nicht schon mit den Alten, die Wolfsbrut?“ Zit. nach Adrian Hummel
(Hg.), J. H. Voß, S. 9.
44
Der Frühliberalismus vertritt um 1800 folgende Programmpunkte: Der Adel soll seine herausge-
hobene Staatsnähe aufgeben. Der Adel soll sich in allen Lebensbereichen dem Wettbewerb öffnen.
Der Adel soll zum bloßen Agrarunternehmer werden. Der Adel soll seinem Standesdünkel entsa-
gen. Sozialgeschichtlich betrachtet tritt erst im frühen 19. Jh. ein Funktionswandel des Adels vom
Herrschaftsstand zur Funktionselite ein, dies im Zeichen der defensiven Modernisierung (preußi-
sche Reformen, süddeutscher Konstitutionalismus).
45
Der Leser erfährt Geschichtliches zu Ferdinand v. Maltzahn und zum Aufhebungsakt in Penzlin.
(Quellentext: Eduard Stern: Staatssachen. Einige Worte über die Lage der Leibeigenen in
Mecklenburg. In. Allgemeiner Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen, S. 774-784, hier S.
784). Der Lesescreentext sensibilisiert den Interessenten zudem dafür, dass die Aufhebung der
Leibeigenschaft in Mecklenburg mit Wirkung ab Ostern 1821 für die Freigelassenen Folgen hatte,
ersichtlich unter anderem in der Zeichnung des mecklenburgischen Malers Rudolf Suhrlandt
(1781-1862): „Abschied der Auswanderer“ (Staatliches Museum Schwerin). Die Abschiedsszene
zeigt deren leidvollen Abschied von Freunden und Verwandten. Der sich hier manifestierende
zeitkritisch-geschichtliche Bezug bereitet womöglich dem Interesse an einem zweiten Quellentext
den Weg: (Carl von Lehsten: Ueber die Aufhebung der Leibeigenschaft in Mecklenburg und deren
günstige und ungünstige Folgen, nebst Vorschlägen zu Ausgleichung der letzteren, Parchim:
Hinstorff 1834.) Lehsten argumentiert zu den Fragen: Was hat die Bevölkerung durch Aufhebung
der Leibeigenschaft gewonnen? Licht- und Schattenseiten der vormaligen Leibeigenschaft und der
jetzigen Freizügigkeit? Ist die Anlegung öffentlicher Arbeitshäuser räthlich und ausführbar?