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de zu befähigen.

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„Thorheiten rohe(r) Junkerschaft“

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diagnostiziert er als fatalen

Kreislauf

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, in einer Fußnote einräumend, dass es in England und auch schon in

Deutschland vereinzelt bessere Vertreter des Adels gäbe. In späteren Dichtungen

wird dieser Kreislauf aufgebrochen. Wir müssen fragen, in welcher Weise und mit

welchen Lösungen/Perspektiven? Der Idyllenzyklus, der Vossens Entwicklung von

1770 bis 1800 widerspiegelt, weist mit seinen Teilen „Die Leibeigenen“, „Die Er-

leichterten“, „Die Freigelassenen“ einen Fortschritt auf, gegeben durch die chro-

nologische Abfolge der Jahreszeiten (Frühjahr bis Herbst) und durch Handlungs-

schritte. In den „Freigelassenen“ verzichtet ein junger, in der Schweiz und England

gebildeter Baron auf einen Teil seiner Herrschaftsrechte den Untertanen gegenüber.

Er beruft sich auf die Freiheit der Pächter in England und der Marschenbauern. Mit

dem Herrn dieser Idylle schiebt Voß seiner defizienten Gegenwart ein Maß unter.

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Unter einem Bildverweis auf den Penzliner Obelisken, errichtet zur Erinnerung

an Ferdinand von Maltzans Freilassung seiner Leibeigenen am 18. Oktober 1816,

befindet sich ein Lupenpiktogramm als Explikationsmarker.

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Es finden sich in dieser Dichtung Zeilen wie: „Der Bauer und der Bürger wird Kanalj’ und Pack

betitelt/ und seinem Anwachs früh die Menschheit ausgeknittelt./ Schulmeister, spricht er, macht

die Buben nicht zu klug!/ Ein wenig Christentum und Lesen ist genug! Adrian Hummel (Hg.): J. H.

Voß. Ausgewählte Werke, S.141.

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Siehe Vossens Fußnote 1 zu „Junker Kord“. In. Adrian Hummel (Hg.): J. H. Voß, S. 136. Voß inten-

diert auch hier komische Satire, hoffend: „Nicht nur in England, auch in Deutschland gibt es bereits

die „besseren des Adels“, längst gewohnt mitzulachen. Damals konnte Voß noch auf Stolberg zählen.

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Als Hans die von ihm ins Auge gefasste Brandschatzung mit Hinweis auf die unschuldigen Kinder

im Herrenhaus abzuwenden sucht, entgegnet Michel: „Die Wolfsbrut? Fällt denn der Apfel/ Weit

vom Stamm? Und heult sie nicht schon mit den Alten, die Wolfsbrut?“ Zit. nach Adrian Hummel

(Hg.), J. H. Voß, S. 9.

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Der Frühliberalismus vertritt um 1800 folgende Programmpunkte: Der Adel soll seine herausge-

hobene Staatsnähe aufgeben. Der Adel soll sich in allen Lebensbereichen dem Wettbewerb öffnen.

Der Adel soll zum bloßen Agrarunternehmer werden. Der Adel soll seinem Standesdünkel entsa-

gen. Sozialgeschichtlich betrachtet tritt erst im frühen 19. Jh. ein Funktionswandel des Adels vom

Herrschaftsstand zur Funktionselite ein, dies im Zeichen der defensiven Modernisierung (preußi-

sche Reformen, süddeutscher Konstitutionalismus).

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Der Leser erfährt Geschichtliches zu Ferdinand v. Maltzahn und zum Aufhebungsakt in Penzlin.

(Quellentext: Eduard Stern: Staatssachen. Einige Worte über die Lage der Leibeigenen in

Mecklenburg. In. Allgemeiner Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen, S. 774-784, hier S.

784). Der Lesescreentext sensibilisiert den Interessenten zudem dafür, dass die Aufhebung der

Leibeigenschaft in Mecklenburg mit Wirkung ab Ostern 1821 für die Freigelassenen Folgen hatte,

ersichtlich unter anderem in der Zeichnung des mecklenburgischen Malers Rudolf Suhrlandt

(1781-1862): „Abschied der Auswanderer“ (Staatliches Museum Schwerin). Die Abschiedsszene

zeigt deren leidvollen Abschied von Freunden und Verwandten. Der sich hier manifestierende

zeitkritisch-geschichtliche Bezug bereitet womöglich dem Interesse an einem zweiten Quellentext

den Weg: (Carl von Lehsten: Ueber die Aufhebung der Leibeigenschaft in Mecklenburg und deren

günstige und ungünstige Folgen, nebst Vorschlägen zu Ausgleichung der letzteren, Parchim:

Hinstorff 1834.) Lehsten argumentiert zu den Fragen: Was hat die Bevölkerung durch Aufhebung

der Leibeigenschaft gewonnen? Licht- und Schattenseiten der vormaligen Leibeigenschaft und der

jetzigen Freizügigkeit? Ist die Anlegung öffentlicher Arbeitshäuser räthlich und ausführbar?