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„Hole der Henker Adlige und Pfäfferei […] Stolbergs heilloses Wir! Wir von
Adel! Wir Rechtgläubige! Wir Alleinselige! Wir Deutsche! Wir Stolberge samt
den unsrigen […]. Die Unbegreiflichen, in deren Köpfe man sich kaum hinein-
denken kann! Die Ansprüche auf Staatswürden ohne Geschick, die Gier nach Ge-
meingut, wozu sie nicht beitragen, diesen Dünkel auf Ahnherrn, die keiner kennt,
nennen sie erhabenes, ihrem Geschlecht eigenes Ehrgefühl […]. Forscht in Frank-
reich, in England, in Amerika, welcherlei deutschen Namen man dort achtet, und
welches Geschlecht ihnen lächerlich ist in seiner verlorenen Unwissenheit und
Anmaßung. Woher denn kommt alle Macht und Ehre des Staates? Und woher der
Verfall? […] Erbverdienst und erbliche Vorrechte (sind) für einen wohlgeordneten
Staat schädlich.“
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Dass die Ständegesellschaft der kardinale Punkt damaliger Verhältnisse war, zeigt
zudem der spitze Pfeil
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des Epigramms „Stand und Würde“ (1785). Voß setzt al-
les daran, den Dünkel ostentativ betonter Herkunft zu pointieren, um die geistige
Überlegenheit eines aus der bürgerlichen Unterklasse Aufgestiegenen umso bril-
lanter in Erscheinung treten zu lassen:
„Der adliche Rath. Mein Vater war ein Reichsbaron! Und Ihrer war, ich meine …?
Der bürgerliche Rath. So niedrig, daß, mein Herr Baron, Ich glaube, wären Sie
sein Sohn, Sie hüteten die Schweine.“
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Der mit Stolberg wie Voß bekannte Heinrich Ludwig Nicolovius sah im Adels-
hass des Freundes eine Ursache für dessen Lese- und Übersetzungsversenkung
in die Antike.
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In den durchschrittenen Kabinetten bekannt gemacht mit dem
„verdumpften“ Zeitalter und Vossens Hinausstreben, stellt sich dem Besucher die
Frage, welche Wirkkraft Voß Homer zuschreibt. Vossens dichterische Selbstaus-
sage im „Rebensproß“ bereitet die Aufmerksamkeit auf die folgenden Kabinette
vor und schafft Lesebahnen: „Auf ödem Eiland’, ich mit Sehnsucht/Wandte den
Blick zur Hellenenheimat.“
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Wir nutzen das tiefenräumliche Sprachbild als ein
den Dichter und Publizisten mit dem Übersetzer Voß verbindendes Element.
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Hedwig Voegt: Voß. Werke in einem Band, S. 312.
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Klopstock setzte in die „Vorrede“ zu seinen Epigrammen: „Bald ist das Epigramm ein Pfeil,/ trifft
mit der Spitze,/ ist bald ein Schwert,/ trifft mit der Schärfe;/ ist manchmal auch (die Griechen
liebten’s so) ein klein Gemäld’, ein Strahl,/ zum Brennen nicht, nur zum Erleuchten gemacht.“ Zit.
nach Klopstocks Epigramme. Gesammelt und erläutert von E. F. R. Vetterlein, Leipzig 1830, S. 1.
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Johann Heinrich Voß: Stand und Würde, in: Musenalmanach 1785, S. 7.
62
Er notierte 1793: „Voß haßt den Adel und mag nur an griechischen Quellen seinen Durst löschen“,
Siehe Anm. 8.
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Zitiert aus Vossens Ode „Der Rebensproß“. Zit. nach Adrian Hummel (Hg.), J. H. Voß, Anm. 39, S. 154.