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Zur Textform Idylle, zur Herkunft, Dichtung und Wirkung Theokrits, zum Sachbe-

reich Motiv und Motiventfaltung und zu weiteren Fragen könnten Schüler huma-

nistischer Gymnasien im Ausstellungsbereich und am Lesescreen der Bibliothek

arbeiten.

Eine kleine Informationstafel zur Gattung „Idylle“

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berät Schüler anderer Schul-

arten dabei, die „Pferdeknechte“ als Antiidylle zu lesen, die das idyllische Gat-

tungsmuster umkehrt. Mit einem anmutigen Bild ländlicher Natur am Vorabend

eines Festes setzen „Die Pferdeknechte“ ein: Nichts aber ist in diesem Bild von

der zeittypischen, für die vielen Mond-Gedichte charakteristischen sentimentalen

Stimmung geblieben. Die Schäfer der in Salomon Geßners Idyllen fortlebenden

bukolischen Tradition ersetzt Voß durch das Personengespräch Leibeigener, die

Spanndienste leisten und die keine griechischen, sondern heimische Namen tra-

gen. Sichtlich ist der Stoff von den Zeitideen der Antityrannendichtung des Sturm

und Drang geprägt. Aber Voß sättigt diese mit sozialer Wirklichkeit.

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Er gestaltet,

wie der Junker den jungen Stalldienste leistenden Knecht nicht nur um den ver-

sprochenen Freikauf, sondern auch um die geleistete Fronarbeit prellt. In die Pole

Freiheit und Determination ist die Tragik dieser Dichtung eingespannt. Während

das geliebte Mädchen, eine freie Person, singend ihr Brautkleid bleicht, beklagt

Michel, dass er keineswegs die gegen eine Freikaufsumme versprochene Freiheit

erhielt. Mittels betrügerischer ökonomischer Knebelung sichert der Grundherr ein

Weiterbestehen der persönlichen Unfreiheit seines Untertanen. Im antiken Rhyth-

mus steigert der empörte Knecht seinen Hass bis zu revolutionären Gewaltbildern

der Brandschatzung: „Ich lasse dem adlichen Räuber/ Über das Dach einen rothen

Hahn hinfliegen, und zäume/ Mir den hurtigsten Klepper im Stall, und jage nach

Hamburg.“

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Hamburg war damals ein Zufluchtsort für entlaufene Leibeigene. Der

Dialogpartner, der Knecht Hans, kann die Bluttat durch christlichen Einspruch

gerade noch verhindern: Gott allein sei die Instanz, die für Gerechtigkeit sorge.

Die Klage des Leibeigenen richtet das Augenmerk des Lesers auf das wirksame

Rechtsverhältnis. In der Bibliothek erhalten Schüler diesbezüglich Einblicke.

Um einen schulisch wirkenden Geschichtstext zu vermeiden, verweisen wir an

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Diese erklärt, dass die Idylle eine Gattung der altgriech. Literatur ist, die in kürzeren Texten ein

ländliches, bescheiden-natürliches Leben in anmutigen Bildern schildert, teils heiter, teils burlesk,

oft von hymnisch-liedhaftem Charakter und in Hexametern verfasst. In der deutschen Literatur des

18. Jahrhunderts will die Idylle mit ihrer Harmonie zwischen Mensch und Natur eine Gegenwelt

zur ständischen Gesellschaft schaffen und ein bürgerliches Lebensgefühl zum Ausdruck bringen.

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Siehe hierzu den Beitrag von Ernst Münch. Sommerstorf – Penzlin – Neubrandenburg – Ankersha-

gen. Die mecklenburgische(n) Lebenswelt(en) des Johann Heinrich Voß. In: Hans-Joachim Kert-

scher, Andrea Rudolph (Hg.): Heute in Penzlin daheim. Morgen in der Welt zu Hause, S. 81-112.

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Zit. nach Adrian Hummel (Hg.): J.H. Voß. Ausgewählte Werke, Göttingen 1996, S. 9.