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Der Besucher erfährt: Der Gutsbetrieb in Ankershagen gilt in der Voß-Biografik

als der Ort, wo Vossens adelskritische Haltung geprägt wurde. Vossens Freiheits-

begehren präformiert sich nun härter und strenger – diesmal in der Form der Zu-

rückweisung einer adligen Gestattungsgeste. InAnkershagen litt der notgedrungen

als Hilfslehrer Tätige unter den faulen wie arroganten Oertzen-Jungen, die wus-

sten, dass er gegen sie keine Handhabe, keine strafende Hand besaß, unter der als

Furie erlebten Gnädigen, unter menschlicher Herabstufung. Voß versteht diese als

ständegesellschaftlich motiviert. Während die Oertzen-Jungen an der gemeinsa-

men Mittagstafel täglich Wein gereicht erhalten, wird dieser ihrem Lehrer, einem

Domestiken, nur sonntags gewährt. Der Hofmeisterprädikant weist den Wein zu-

rück und behauptet mit dieser Handlung innere Freiheit. Voß verschränkt die wäh-

rend seiner zweieinhalbjährigen Hofmeisterzeit (August 69 bis April 72) erlebte

Zurücksetzung mit politischer Epochenproblematik. An Ernst Theodor Brückner

sendet Voß am 19. April 1779 nicht nur die oben zitierten Zeilen. Er verhöhnt

in diesem Brief – und mehrfach noch – den exklusiven Begriff des Adligen.

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Er setzt diesem die Würde und Exzellenz des Menschen entgegen, befürwortend

die seit Kant und Herder so stark betonte Vorstellung, der Mensch solle sich zum

Menschen in Ganzheit, Freiheit und Persönlichkeit ausbilden: „Was geht mich

Mecklenburg an und alles hochadlige Geschmeiß, das Gnade zu erzeigen glaubt,

wenn es sich nach unserem Wohlbefinden erkundigt“, schreibt Voß 1774 an Ernst

Th. Brückner.

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Sein Blick ruht bewundernd auf dem Groß Vielener Dichterpfar-

rer, in dem sich Menschlichkeit und dichterisches Streben verbindet und der ihn in

die Dramen von Aischylos und Shakespeares einführt. Und er richtet sich auf die

junge Universität Göttingen.

Der Losriss aus Mecklenburg ist in der von uns verdichteten Selbstbezeugung

vorgezeichnet: „Ich muß hier weg.“ Vossens dringlichen Wunsch setzen wir im

Kabinett als weg führende Barfußfußspuren um. Seinen Barfuß benötigen wir im

Kabinett 5, gewidmet der Thematik Revolution und Humanismus, für eine weitere

soziale Aussage.

An gesellschaftlich Bedeutsamem nimmt der Besucher aus beiden Kabinetten

nach Möglichkeit mit: Voss erlebte im Penzliner Land adligen Dünkel und auf-

klärungsoffene, ihn fördernde Lehrer (Andreas Struck in Penzlin, Pfarrer Ernst

Theodor Brückner in Groß Vielen). Auch in Mecklenburg vermochten sich über

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Den Adelstitel attackiert Voß am 19. April 1779 in einem Brief an Brückner als „stinkendes Ehren-

kleide aus der Lade der Ahnen“, „deren Hauptverdienst Glauben und Rauben“ war. Zit. nach Wil-

helm Herbst, S.57. In seiner geringen Bezahlung und geringschätzigen Behandlung sieht der junge

Mann, der Geld für die Aufnahme des Studiums benötigt, Vergangenheit, nämlich Raubrittertum,

weiterwirken.

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Ebd.