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sowie der Dokumentation und Aufbereitung der dabei angetroffenen Funde und
Befunde einerseits – das ist die Datenerhebung – und deren darauf aufsattelnder
wissenschaftlicher Bearbeitung, der Auswertung, andererseits. In einem analy-
tisch strengen Verständnis ist das eigentliche Feld wissenschaftlichen Handelns
die Auswertung, verstanden als methodisch geregelte Erschließung von Realität.
Sie ist professionalisierungsbedürftig im Sinne der Ausbildung eines Habitus,
während es bei der Datenerhebung um das Einüben fachspezifischer Techniken
geht, die in vielen Fällen an nichtwissenschaftliches Personal delegiert werden
können. Dennoch ist es auch für Wissenschaftler wichtig, diese Techniken der
Datenerhebung erlernt zu haben, weil sie so ein Gefühl für die zu untersuchen-
den Gegenstände, ein über den konkreten Umgang vermitteltes Verständnis des
Materials gewinnen, weshalb man verallgemeinernd sagen könnte, dass dies eine
Voraussetzung des Habituserwerbs bedeutet.
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Schliemann überschätzte zu Beginn seiner archäologischen Tätigkeiten die Bedeu-
tung der Ausgrabung zuungunsten der Auswertung. In seinen Schriften obwaltet
die Prätention, dass die freigelegten Funde und Befunde für sich selbst sprechen
und eine interpretierende Auswertung gar nicht mehr benötigen – habe man nur den
Ausgrabungsort vermittels der Epen oder anderer antiker Quellen identifiziert, so
liege der Charakter der Funde und Befunde als dem in den Quellen genannten Per-
sonal zugehörig auf der Hand. Joachim Herrmann beschreibt dies folgendermaßen:
„Der Zwang zur wissenschaftlichen Akribie war Schliemann zur zweiten Natur
geworden – sofern es um die Festschreibung von Phänomenen ging. Sobald es
sich umWesensdeutung und um die Darstellung historischer Zusammenhänge und
Einsichten handelte, war Schliemann in methodischer Hinsicht mehr oder weniger
hilflos. Spekulative Aussagen, Enthusiasmus und theoretische Simplifikationen
sowie Kurzschlüssigkeit bestimmten seine Auffassungen vielfach“
33
.
Für eine maßgeblich auf dem Wege des Vergleichens zu vollziehende Deutung
und Bestimmung war die Person Rudolf Virchows für Schliemann zentral, un-
geachtet dessen, dass rückblickend auch von Virchow postulierte Bezüge und
Ähnlichkeiten zum Teil recht verwegen anmuten.
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Schliemanns Läuterung zur
Wissenschaftlichkeit, die vielleicht keine Habitustransformation, aber doch eine
maßgebliche Überformung des Kaufmannshabitus bedeutete und die an mit die-
sem verbundene Tugenden – Genauigkeit, Selbstdisziplin, Exaktheit der Doku-
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Dabei ist es eine allgemeine Erfahrung, die sich sinngemäß auch auf andere Wissenschaften übertra-
gen lässt, dass gute Ausgräber nicht zwangsläufig auch gute Auswerter sein müssen – und umgekehrt.
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Herrmann 1990, S. 68.
34
Vgl. Zavadil 2009, S. 115.