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Simulationen abgespeist werden.
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Bei dem Prozess der Habitusaneignung qua Ver-
innerlichung der Handlungslogik professionalisierter Praxis handelt es sich nicht
primär um einen Lern-, sondern einen Bildungsprozess, und vom Ergebnis her be-
trachtet, muss der Novize an dessen Ende die Fähigkeit zu einer Versachlichung
bei der Untersuchung der ihn interessierenden Gegenstände erworben haben. Diese
Versachlichung bedeutet eine Sublimierung seiner ursprünglichenAntriebe und de-
ren Unterordnung unter eine strenge Sachhaltigkeit, das heißt auch eine Unterord-
nung unter die Logik des besseren Arguments, was wiederum impliziert, dass er in
der Lage sein muss, sich kollegialer Kritik auszusetzen und eigene Hypothesen und
Theorien in deren Lichte gegebenenfalls aufzugeben.
Dieser abstrakte professionalisierungstheoretische Vorlauf ist notwendig gewesen,
weil sich vor seinem Hintergrund das Strukturproblem wissenschaftlicher Autodi-
dakten konfiguriert. Es besteht
nicht
in der Aneignung von Fachwissen, sondern
der Ausbildung des erfahrungswissenschaftlichen Habitus, und nicht das Fachwis-
sen, sondern dieser Habitus entscheidet letztlich über die Kooptation in den Kreis
der Wissenschaftler.
Nun wäre es eine Übergeneralisierung, zu postulieren, diese Habitusbildung kön-
ne ausschließlich im Rahmen einer universitären Ausbildung geschehen – erfor-
derlich ist gleichwohl, dass die Praxis, in der sie sich vollzieht, der universitären
Ausbildung analoge Struktureigenschaften aufweist und um ein Meister-Schüler-
Verhältnis zentriert ist, in dem der Novize mit typischen Handlungsproblemen,
Möglichkeiten ihrer Bearbeitung, aber auch deren Fallstricken vertraut gemacht
und nach und nach zu selbständigen Lösungen angehalten wird.
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Auf Ähnlichkeiten der Charaktere von Schliemann und Boetticher ist häufig hin-
gewiesen worden,
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beide waren intelligent, belesen, hartnäckig, mit schriftstelle-
rischem Talent ausgestattet und leicht reizbar. Leider ist der Nachlass Boettichers
verloren,
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und die Quellenlage stellt sich weit schlechter als bei Schliemann dar,
insbesondere was die Zeit vor ihrer Kontroverse angeht. Mit einiger Bestimmtheit
lässt sich jedoch sagen, dass beide keine intensive universitäre Ausbildung durch-
liefen. Schliemann nahm nach seiner Rückkehr aus Asien Anfang 1866 seinen
Wohnsitz in Paris und belegte „Ägyptische Philologie und Archäologie, Arabische
Sprache und Dichtung, Petrarca und seine Reisen, Französische Dichtung des 16.
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Vgl. hierzu ausführlich Oevermann 2005.
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Ein anschauliches Beispiel für die Ausbildung eines wissenschaftlichen Habitus, die sich außerhalb
der Universität vollzog, wird in Jung 2010 (S. 225–257) ausführlich diskutiert.
9
Zavadil 2009, S. 117.
10
Zavadil 2009, S. 17.