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denheit, welche ich früher im Gewühle des großen Geschäfts

nie

kannte, und die

mir nur durch die Wissenschaft eigen wurde“

20

.

Klar spricht sich darin aus, dass es in erster Linie eine psychische Wertigkeit ist, in

der die Bedeutung der Wissenschaften für Schliemann liegt, und nicht eine Sach-

bindung. Die mit „Leidenschaft“ und „Glück“ beschriebenen Affekte stehen im

Mittelpunkt, nicht die Sache als solche, deren Widerständigkeit durch Erkenntnis

aufzulösen wäre, und auch nicht der Anspruch, im Sinne einer Gemeinwohlver-

pflichtung einen Beitrag zum Erkenntnisfortschritt leisten zu wollen. Was Schlie-

manns Verhältnis zu den Fachwissenschaftlern angeht, so mangelt es nicht an Äu-

ßerungen, in denen sich das Bewusstsein der eigenen Superiorität als Mann der

Tat gegenüber den Stubengelehrten zeigt, etwa wenn er schildert, wie er über die

Archäologen lachen musste, die auf Ithaka die von Homer beschriebene Haupt-

stadt falsch verortet hatten.

21

Auf der anderen Seite suchte Schliemann um den Rat

von Fachleuten nach. So schreibt er 1872 an Ernst Curtius:

„Mir fehlt es dazu [Fortsetzung der Ausgrabung in Troja, M.J.] weder an der Zeit

noch an Energie noch an Mitteln, mir fehlt aber manchmal der gute Rath eines

Mannes wie Sie und wenn Sie mir denselben von Zeit zu Zeit ertheilen wollen, so

würden Sie mich gewaltig verbinden“

22

.

In ähnlicher Weise äußerte er sich in dieser Zeit gegenüber Heinrich Brunn, Émile

Burnouf und Ernest Renan.

23

Damit erweist sich Schliemann als jemand, der rea-

listisch um seine eigenen Unzulänglichkeiten auf dem Gebiet des wissenschaftli-

chen Handelns wusste und deshalb um Hilfe bei den Fachgelehrten nachsuchte.

Dabei ging es ihm, wie der Brief an Curtius zeigt, nicht bloß um die Klärung kon-

kreter Fragen, sondern durchaus um die Einrichtung einer Art Mentorenverhältnis.

Bei Boetticher stellt sich dies, soweit die Quellen einen solchen Schluss zulassen,

anders dar. Er suchte nicht Rat und Belehrung, sondern Bestätigung und Verbün-

dete in Gestalt einflussreicher Fachgelehrter, welche die von ihm propagierten

Theorien in der Fachöffentlichkeit vertraten und die er zum Beispiel in dem fran-

zösischen Archäologen Salomon Reinach auch fand. Interessant sind in diesem

Zusammenhang die Versuche, den Ägyptologen Georg Ebers als Verbündeten zu

20

Schliemann an Hepner, 02.04.1858, zit. nach Meyer 1953, S. 93.

21

Schliemann 1869, S. 44; Justus Cobet macht auf die Diskrepanz dieser Darstellung zu der in

Schliemanns Tagebuch aufmerksam: „Nach dem Tagebuch war Schliemann selber mit Murray [J.

Murray, Handbook for Travellers in Greece (1854), M.J.] der verlachten Meinung gefolgt“ (Cobet

1997, S. 56).

22

Schliemann an Curtius, 03.02.1872, zit. nach Meyer 1953, S. 202.

23

Meyer 1953, S. 334 Anm. 278.