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schaftliche Forschungen möglich. Auch kennen Sie schon genug vom Buch, um

zu wissen, daß es nur für Fachgelehrte und nicht für ungeübte Geister und Laien

geschrieben ist“

40

.

An die Briefe aus den 1850er Jahren erinnert allenfalls das bisweilen durchschim-

mernde Pathos („und sollte es mein Untergang sein“), an die Stelle von Spekula-

tion, Enthusiasmus, Simplifikation und Kurzschlüssigkeit ist ein methodisch ge-

regeltes Verfahren, die „komparative Archäologie“ getreten. Die Wertigkeiten für

das eigene psychische Erleben sind verschwunden und einer Unterwerfung unter

die Sache und die regulative Idee der Wahrheit gewichen. Nicht Präferenzen oder

Idiosynkrasien bestimmen den Weg, den die Forschung einzuschlagen hat, son-

dern die jeweiligen Gegenstände, und das auch dann, wenn sie von den ursprüng-

lichen Interessen des Forschers wegzuführen drohen und Schliemann von Troja in

die Vorgeschichte der Schweiz, Ungarns oder Dänemarks leiten. Wie anders liest

sich demgegenüber die folgende Briefpassage, die nur fünf Jahre zuvor von der

hohen Besetzung Trojas zeugt:

„Ich betrachtete aber natürlich diese Theaterausgrabung [gemeint ist das römische

Theater ca. 150 m östlich von Hisarlık; vgl. Meyer 1953, S. 353 Anm. 416, M. J.]

auch durchaus als Nebensache, hätte auch nie mehr als den 5

ten

Theil meiner Leute

darauf verwendet, denn die herrlichsten griechischen Kunstwerke sind für mich,

der

Aufdeckung Troias

gegenüber

, durchaus werthlos. Grabe ich aber,

anstatt

in

Troia, irgendwo anders wo nichts von Troia u nur griechische Kunstschätze zu

finden sind, so werden diese von niemand höher geschätzt als von mir“

41

.

Virchow hat in seiner Vorrede zu „Ilios“ diesen von Schliemann durchlaufenen

Professionalisierungsprozess von seinem Ergebnis her beurteilt: „Es ist heute eine

müssige Frage, ob Schliemann im Beginn seiner Untersuchungen von richtigen

oder von unrichtigen Voraussetzungen ausging“

42

; „Aber ganz von selbst ist an

40

Schliemann an Virchow, 13.05.1880, zit. nach Herrmann/Maaß 1990, S. 188.

41

Schliemann an N.N., 02.01.1875, zit. nach Meyer 1953, S. 274. – Der von Schliemann durchlaufene

Professionalisierungsprozess bedeutet nicht ein Erlöschen der ursprünglichen Faszination,

sie manifestierte sich aber nicht mehr im archäologischen Arbeiten. Legt man Äußerungen

Schliemanns aus dem Jahr 1882 zugrunde, könnte man sagen, dass sich diese Faszination von den

Objekten auf die Landschaft verschoben hatte: „

Leider

machen die schweizer Naturschönheiten

gar keinen Eindruck mehr auf mich, und habe ich mich Ende August, während unseres 14 tägigen

Aufenthalts in Interlaken und Thun, vergebens bemüht den riesigen Gletschern auch nur den aller

geringsten Reiz abzugewinnen. Unendlich mehr Reiz haben für mich die Berge Griechenlands,

die ich aus meinen Fenstern sehe, denn sie sind die Schauplätze vieler großen Begebenheiten im

griechischen Alterthum gewesen, in welchem letzteren ich jetzt ganz lebe und athme“ (Schliemann

an Rust 29.01.1882, zit. nach Meyer 1958, S. 138f.).

42

Virchow 1881, S. XI.