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Jahrhunderts, Moderne französische Sprache und Literatur, Griechische Philo-

sophie und Literatur, Vergleichende Sprachwissenschaft“

11

. Die Frequenz seiner

Teilnahme an den Lehrveranstaltungen ist nicht bekannt, in jedem Fall erfolgten in

den Jahren 1866 und 1867 ausgedehnte Reisen.

12

ImApril 1868 unternahm Schlie-

mann dann seine erste Forschungsreise nach Griechenland, nach der Rückkehr im

September 1868 verfasste er „Ithaque, le Péloponnèse, Troie“. Wie sich den von

ihm besuchten Veranstaltungen an der Sorbonne ablesen lässt, war der Bogen sei-

ner wissenschaftlichen Interessen weit gespannt, doch ist kaum anzunehmen, dass

Schliemann zu einem geregelten Studieren kam, zumindest nicht zu einem, dass

einen Habituserwerb oder in seinem Fall eine Habitusmodifikation gestattet hätte.

Das bedeutet freilich nicht, dass er sein Studium nicht ernsthaft betrieb und, wie

Donald Easton vermutet, an der Sorbonne lediglich „dilettierte“.

13

Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Boetticher. Er wurde imAlter von 34 Jahren 1876

im Rang eines Hauptmanns als Kriegsinvalide pensioniert. Unbekannt ist sein

Aufenthalt zwischen Verabschiedung (er war zuvor in Metz stationiert) und seiner

Eintragung im Berliner Adressbuch 1881.

14

In Berlin besuchte er die Universität

und „belegte u. a. Politik und Geschichte bei Heinrich von Treitschke, National-

ökonomie bei Adolph Wagner sowie Philosophie bei Friedrich Paulsen, um sich

schließlich v. a. der Archäologie zu widmen“

15

. Er begann in dieser Zeit eine rege

Publikationstätigkeit und schrieb vor allem Aufsätze in Zeitschriften, spätestens

ab 1882 beschäftigte er sich dann mit den Schliemannschen Befunden in Hisarlık.

Auch seine universitären Studien, wiewohl gleichfalls ein breites Spektrum an

Interessen verratend, konnten nur innerhalb eines kurzen Zeitraums stattfinden,

der wie bei Schliemann für eine Habitusformung gewiss nicht ausreichend war.

In beiden Fällen mögen also die universitären Studien der Wissensakkumulation

gedient haben, hatten aber nicht den Effekt einer Habitusbildung.

Betrachtet man, wie Schliemann sich in den 1850er Jahren in Briefen über dieWis-

senschaft äußert, so ist seine Rede abstrakt und allgemein, er spricht von ihr wie

(und faktisch: als) Außenstehender: „Um mein Vermögen von den Schwankungen

der Konjunktur loszumachen, werde ich den Rest meines Lebens den Wissen-

schaften widmen, die ich sehr liebe“

16

. Die Beispiele für diesen Sprachgebrauch

11

Cobet 1997, S. 53.

12

Nach dem von Tobias Mühlenbruch erarbeiteten Itinerar war Schliemann in den Jahren 1866 bis

1868 nur zweimal längere Zeit in Paris: vom 05.05. bis zum 16.10.1867 und vom 25.01. bis zum

29.04.1868 (Mühlenbruch 2010, S. 76f.).

13

Easton 1992, S. 52.

14

Zavadil 2009, S. 22.

15

Zavadil 2009, S. 22.

16

Schliemann an Rhodokanakis 11.06.1856, zit. nach Meyer 1953, S. 83.