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schreiben“ verfertigen und seine Bücher selbst verlegen musste. Gleichzeitig ver-
stärkte diese Isolation die Annahme einer Verschwörung gegen ihn seitens der
Fachgelehrten.
Die obigen Ausführungen zur Differenz von Datenerhebung und Datenauswer-
tung sind auch hilfreich zum Verständnis der Kontroverse zwischen Schliemann
und Boetticher. Die entscheidende Scharnierstelle von beidem ist die Dokumen-
tation des Erhobenen, allgemein gesprochen seine Protokollierung. Ein Protokoll,
das nicht notwendig schriftsprachlich verfasst sein muss und auch in einem Plan
oder einer Abbildung bestehen kann, ermöglicht überhaupt erst die methodisch ge-
regelte Erschließung des in ihm Protokollierten und dessen intersubjektive Nach-
prüfbarkeit und Kritisierbarkeit, insbesondere bei flüchtigen Ereignissen wie der
Befundfreilegung während einer Ausgrabung. Ein Protokoll ist umso besser, je
weniger interpretative Anteile in es eingegangen sind, was in der Gegenwart rein
technische Aufzeichnungen gewährleisten können, wie sie Ende des 19. Jahrhun-
derts nur eingeschränkt möglich waren. Bekanntlich entzündete sich der Streit
zwischen Boetticher und Schliemann an der Interpretation von Protokollen in Ge-
stalt von Plänen: In den zahlreichen Räumen, wie sie sich in „Ilios“
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darstellen
und die von Schliemann als Teil des Trojas Homers, der dritten Stadt, angespro-
chen wurden, sah Boetticher einen Beleg für seine Theorie, Troja sei keine Sied-
lung, sondern eine Feuernekropole gewesen. In „Troja“
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fand sich ein korrigierter
Plan, der die Reste großer Gebäude der zweiten Stadt zeigt, in der Schliemann
mittlerweile das homerische Troja zu erkennen glaubte. Boetticher war nicht be-
reit, sich mit dieser Korrektur abzufinden, und er verstieg sich zu dem Gedanken,
Schliemann und Dörpfeld hätten den Plan absichtlich manipuliert, um seine Feuer-
nekropolentheorie ad absurdum zu führen. Er hielt an dem Plan von 1881 als dem
authentischen fest.
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Der Streit führte schließlich zu der Aufforderung, Boetticher
solle selbst Troja besuchen und sich ein Bild machen. Diese Aufforderung war
eine dazu, an dem Protokollierten die Qualität der Protokolle zu überprüfen. In
seiner Abwehr dieses Ansinnens verschob Boetticher die Relation von Protokol-
liertem und Protokoll aber auf die von Protokoll und Interpretation. So lässt er in
seinem dritten Sendschreiben über Troja verlauten:
„Die einseitige Betonung der Autopsie ist eine Verneinung des Denkens, ein Aus-
fluss der materialistischen Strömung von heute, welche die mechanische Thätig-
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Schliemann 1881, Plan I.
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Schliemann 1884, Plan VII.
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Überhaupt hatte Boetticher eine Neigung, das Frühere für das Authentischere zu halten, was sich
beispielsweise in der folgenden, merkwürdig apodiktischen Bemerkung ausspricht: „Auf allen
Gebieten gilt das über Unternehmen geführte Tagebuch als das zuverlässigste und gewichtigste
Urkundenmaterial“ (Boetticher 1911, S. 88).