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Familie Schliemann

Ein erstes Mal begegnete Anna dem Ehepaar Schliemann im abendlichen Halb-

dunkel des Bahnhofs von Chiasso. Seit 1881, der Schenkung ihrer Troja-Samm-

lung an das Deutsche Volk, kannte ganz Berlin seinen neuen Ehrenbürger

27

. Doch

auch in der Schweiz waren Sophia und Heinrich offensichtlich durchaus bekannte

Persönlichkeiten. Die Mitreisenden identifizierten den berühmten Mann sogleich

und machten Umstehende auf ihn aufmerksam: «Wollen Sie Schliemann sehn?»

Die Beschreibung von Heinrichs Erscheinung – «bescheiden», «altersmüde»,

«klein», «von unscheinbarer Haltung» und in «so geringer Reisekleidung, dass

man ihn (...) für einen gewerbetreibenden Oberitaliener» hätte halten können

28

- charakterisiert einerseits Schliemanns notorische Sparsamkeit und veranschau-

licht andererseits seinen schlechten Gesundheitszustand: Während seiner 6. Gra-

bungskampagne in Troja war er an schwerem Malariafieber erkrankt, von dem er

sich auch in Marienbad nicht vollständig erholt hatte, denn noch am 19. Oktober

schrieb er aus Athen an Rudolf Virchow: „Leider ist auf der Reise das Fieber in

furchtbarem Grade bei mir wieder aufgetreten und habe ich in Paris lange gelegen,

ohne Hoffnung auf Genesung“

29

. Von dort war die Familie eben erst in Richtung

Parma aufgebrochen.

Ganz anders präsentierte sich Sophia, die Lichtgestalt der Geschichte: Teint, Ge-

sichtsausdruck und Haltung trugen «unverkennbar den Stempel gesicherter Le-

bensbedürfnisse und unangefochtener Ehrenstellung». Auch bei der Schilderung

ihrer Tätigkeit während den Grabungen ihres Mannes hielt sie nicht an sich: «Sie

erzählte, dass sie wochenweis, auf den Knien liegend, mit eigener Hand jeden von

den Aufgrabenden (

sic

) an’s Licht geförderten Gegenstand von Thon, Edelmetall,

Erz, aufgehoben habe, damit er nicht von den Arbeitern entwendet wurde. Dazu

campierte sie mit ihrem Mann in provisorischen Bretterhütten, bis auch er, dem

Klima erliegend, vom Fieber heimgesucht wurde, das ihn heute noch nicht verlas-

sen hat».

27

Samida 2012, S. 97-98.

28

Der Bericht Anna Webers bestätigt einerseits die Aussage Danae Coulmas’ (2002, S. 135-136. 196),

Schliemann habe an den Kleidern von Frau und Kindern gespart: «An Andromaches Kleid fehlten

die meisten Knöpfe, und Agamemnons Ärmel schrien so laut um Erbarmen, dass Frau Schliemann

nachdenklich die Frage that: „Eurykleia, haben wir nicht irgendwo noch ein Kleidchen für Aga-

memnon?“», andererseits widerspricht er ihr insofern, als dass offensichtlich auch Heinrich wenig

Wert auf sein Äusseres legte.

29

Meyer 1936, S. 222, Brief 130. Schon in seinem Brief vom 24. Juni 1882 rät Rudolf Virchow

Heinrich Schliemann dringend, Sophia und Andromache sollten wegen der Gefahr einer Malariaer-

krankung möglichst schnell von Troja nach Griechenland zurückkehren: Andree 1991, S. 133-135.