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bei sich. Menschen, Thiere, Teufel, letztere mit besonderer Virtuosität und gräu-

lich verrenkten Gliedern werden ausgeschnitten, an das Waggonfenster geklebt,

der Vorhang zugezogen, von den Mitreisenden ein

entrée

erhoben, und dann die

Gallerie eröffnet. Dass von so passionirten Alterthumsfreunden untadelige Erhal-

tung des Neuen nicht allzu wichtig genommen wird, darf Niemanden überraschen.

An Andromaches Kleid fehlten die meisten Knöpfe, und Agamemnons Ärmel

schrien so laut um Erbarmen, dass Frau Schliemann nachdenklich die Frage that:

«Eurykleia, haben wir nicht irgendwo noch ein Kleidchen für Agamemnon?»

Schliemann behauptete im Laufe des Gesprächs: «es gibt keinen Mythos, Alles

beruht auf historischer Wahrheit. Ich glaube selbst an Herkules und die Lernäische

Schlange. Wenn man in den Sümpfen von Lerna war, wird einem die Sache klar».

Dabei sah er so träumerisch in die Ferne, dass ich nicht wagte, ihn durch weitere

Fragen dem stillen Sinnen zu entreissen.

Inzwischen fuhren wir durch ein reiches Land. Fruchtfelder dehnten sich so unab-

sehbar aus, dass es Einem Angst ward bei dem Gedanken an all den Schweiss, der

in heissem Sonnenbrand, um kargen Lohn fliessen muss, bis sie bebaut. (...) Da naht

majestätisch der Po; die Mauern von Piacenza werfen dunkle Schatten auf sein Ge-

wässer, drohende Festungen ragen auf, und hinter ihnen funkeln im Sonnenschein

Kuppeln, Kreuze. Vorüber! Neue Bilder gleichen Charakters, nur zieht der Apennin

sich tiefer ins Thal, und Parma ist erreicht. Abschied von Schliemann’s, die hier

etwas Prähistorischem auf der Spur sind, und wohliges Ausdehnen im Alleinbesitz

des Waggons, nebst umständlicher Fütterung und Tränkung. (Ende Zitat).

Anna Weber

Vor der Interpretation ihres Reiseberichts soll das Leben der Autorin kurz skizziert

werden: Anna Weber wurde 1845 in Chur, der Kantonshauptstadt von Graubün-

den, geboren, wo sie im Alter von 60 Jahren auch verstarb. Im Gegensatz zu ihrer

Schwester Emilie und ihrem Bruder Jakob war sie ledig geblieben und hatte sich

zuerst der Pflege ihres verwitweten Vaters und danach der Erziehung ihres früh

verwaisten Neffen Hans angenommen

5

. Vater Johann hatte es im Handel mit Eisen

zu Wohlstand gebracht

6

, der seinen sichtbarsten Ausdruck im Kauf des Schlöss-

chens Parpan fand. Mutter Ursuline und die beiden Töchter restaurierten es in

gemeinsamer Planung und mühseliger Arbeit

7

.

5

Familienchronik, S. 95-97. 102-103. 115-120.

6

Familienchronik, S. 67-71.

7

Familienchronik, S. 91-94.