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Die Beschreibung ihrer eigenenAktivitäten als engster Mitarbeiterin ihres Mannes
relativiert etwas die These Stefanie Samidas, die Inszenierung Sophias als Ausgrä-
berin und ihr Bild als strahlende Archäologin seien entweder das Werk Heinrichs
oder die Erfindung der Medien – allen voran der
Illustrirten Frauen-Zeitung
vom
13. September 1880
30
. Aufgrund ihrer unmissverständlichen Aussage Anna Weber
gegenüber war sich Sophia der eigenen Bedeutung durchaus bewusst - auf der
Grabung wie im Museum. Offensichtlich drückte sie sich dabei so «sanft» und
«prätentionslos» aus, dass Anna Weber alle Mühe hatte, die Selbsteinschätzung
Sophias mit den «Schilderungen der Berichterstatter» in Einklang zu bringen
31
;
um welche «Berichterstatter» es sich handelte, wird sich weisen
32
.
Es folgt die Geschichte der familiären Herkunft Sophias, ihrer ersten Begegnung
mit dem offenbar «seit Jahren verwitweten» Heinrich Schliemann, der rasch voll-
zogenen Heirat in Athen und der Hochzeitsreise nach Italien
33
. Die Fakten decken
sich weitgehend mit jenen, die laut Danae Coulmas Sophia in abgekürzter Versi-
on auch dem griechischen Wissenschaftler, Dichter und Staatsmann Alexandros
Rizo Rangavís anvertraut hatte
34
: die Intervention des St. Petersburger Bischofs
Theokletos Vimpos und die Photographie der jungen Sophia, auf dass sich Schlie-
mann «ein lebendes Stückchen Griechenland an’s Herz [zu] schliessen» könne
- ein Satz, der an Paminos Arie in Mozarts
Zauberflöte
erinnert. Es folgen das
Abfragen historischer Daten – Hadrians Ankunft in Athen – und das präzise Zi-
tat eines Homerischen Verses: insgesamt der wohlbekannte Ablauf dieser höchst
seltsamen Brautwerbung. Offensichtlich verstand es Sophia ebenso gut wie Hein-
rich, ihre Vergangenheit zu verbrämen. So hat sie die heikle Situation der Athe-
ner Brautschau, die parallel zur Scheidung von Heinrichs ersten Frau Jekaterina
in den USA verlief, zu seinen Gunsten zurechtgebogen. Auch die Tatsache, dass
nicht nur ihre Photographie, sondern auch jene anderer Athenerinnen Schliemann
zur Begutachtung unterbreitet worden waren, unterschlägt Sophia geflissentlich.
Selbst ihre Hochzeitsreise, eine erste physische und kulturelle Überforderung der
jungen Frau, fand in ihrer Erzählung von 1882 einen anderen Niederschlag als in
den Briefen, welche sie 1869 an ihre Familie nach Athen gerichtet hatte
35
. Drei-
zehn Jahre nach der Vermählung vermittelte das Ehepaar ein Bild «gegenseitiger
30
Samida 2009, S. 145 mit Anm. 47; Samida 2012, S. 88-89.
31
Eine gewisse Diskrepanz zwischen der Aussage Sophias und jener der «Berichterstatter» zeichnet
sich insofern ab, als diese sie offenbar emotionaler beschreiben - «von der unbeugsamen Energie,
mit der sie (
scl.
Sophia) monateweis, in Abwesenheit des Gatten, 100-150 Arbeiter überwachte und
befehligte».
32
Siehe unten S. 204.
33
Samida 2012, S. 48-49; Coulmas 2002, S. 7-27.
34
Coulmas 2002, S. 217-218.
35
Coulmas 2002, S. 27-37, insbesondere 28-30.