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nicht allzu wichtig genommen wird», mit anderen Worten: dass Menschen, denen
die Schönheit der Antike am Herzen lag, so wenig Verständnis für das technische
Wunder der Moderne, die Eisenbahn, aufbrachten.
Fazit
Welches Fazit lässt sich aus Anna Webers Tagebuch ziehen? Ganz vordergründig
schließt sich für das Jahr 1882 eine klitzekleine Lücke in Tobias Mühlenbruchs
Iti-
nerar
39
: Nach der 6. Kampagne in Troja, an welcher zum ersten Mal der Architekt
Wilhelm Dörpfeld teilgenommen hatte, begab sich Schliemann für einen längeren
Erholungsaufenthalt nach Marienbad. Hielt sich Sophia mit den Kindern während
dieser Zeit tatsächlich in Carlsbad auf, wie sie dies Anna berichtet haben soll
40
,
oder hatte diese bei der Niederschrift ihres Tagebucheintrags die beiden Kurorte
bloß verwechselt? Die Weiterreise ging über Dresden nach Paris, wo Schliemann
einen schweren Rückfall erlitt. Zwischen dem 23. September in Paris und dem
1. Oktober in Rom klaffte in besagtem
Itinerar
bisher eine Lücke. Wie wir dank
Anna Weber jetzt wissen, brach die Familie nach Italien auf, weil Heinrich imMu-
seum von Parma «etwas Prähistorischem auf der Spur»
41
war. Am 26. September
fuhren die Schliemann durch die Schweiz nach Chiasso und stiegen dort in den
Zug nach Mailand um. Am Abend des 27. September endete die Reise in Parma.
Wie lange sie sich dort aufhielten, ist unbekannt; Rom erreichten sie spätestens
am 1. Oktober.
Die Rolle, die sich Sophia Schliemann an der Seite ihres Gatten selbst zuschrieb,
wird ebenfalls klarer fassbar: Sie war seine treue Mitarbeiterin an den Ausgrabun-
gen; sie rettete die Funde vor dem unerlaubten Zugriff der Arbeiter – auf Hisarlik
auch vor dem legalen Zugriff der staatlichen Instanzen wie Antikenverwaltung
und Museen. Ihre Bildung erstrahlte in hellstem Licht, sprach sie doch «ausser
der Muttersprache die 4 Hauptsprachen»
42
, eine Fähigkeit, die Anna beeindruckte.
Auch ihr waren Sprachkenntnisse seit früher Jugend wichtig, hatte sie doch noch
vor dem Aufbruch zur Schule während Jahren Italienisch gebüffelt.
39
Mühlenbruch 2008, S. 37-38.
40
Rom-Tagebuch, 27. September, Nachmittag.
41
Justus Cobet wies mich auf zwei Stellen hin, an denen Schliemann das Museum von Parma er-
wähnt: Schliemann 1874, S. 48 („Zwei solcher Stücke [
scl.
Terrakotten] mit Kreuzen am unteren
Ende sind in den Terramares von Castione und Campeggine gefunden und befinden sich im Mu-
seum von Parma“); Schliemann 1884, S. 37 („Dieses Museum enthält eine in den Terramaren der
Provinz Emilia gefundene Vase mit zwei senkrechten röhrenförmigen Löchern an jeder Seite zum
Aufhängen.“).
42
Sophias Muttersprache war Griechisch; ihre «4 Hauptsprachen» waren wohl Deutsch, Französisch,
Englisch und Italienisch.