
197
Der Liebe ihres Vaters zu Italien folgend, der seine Lehrjahre im damals noch ös-
terreichischen Triest absolviert hatte, erlernten die beiden Töchter neben der in der
Schule unterrichteten französischen Sprache zu Hause auch Italienisch
8
.
Die Mutter sorgte für die kulturelle Bildung von Anna und Emilie
9
: Durch die
kontinuierliche Betrachtung von Adolph Görlings
Stahlstich-Sammlung der vor-
züglichsten Gemälde der Dresdener Galerie
10
legte sie eine solide Basis für die
Kenntnis der abendländischen Malerei. Sie wies ihre Töchter an, auf Details zu
achten, die in der graphischen Umsetzung leichter zu erfassen waren als vor den
Gemälden selbst. Einer insbesondere von Giovanni Morelli
alias
Ivan Lermolieff
geprägten Tendenz der zeitgenössischen Forschung folgend, lernten die Mädchen
anhand individueller Charakteristika die Handschriften der einzelnen Künstler
voneinander zu unterscheiden. Die Unterweisung durch die Mutter fand ihren Nie-
derschlag in Zeichnungen und Aquarellen von Annas Hand. Wie beim Aquarell
der Acqua Paola in Rom (Abb. 2) handelte es sich oft wohl um Nachahmungen
von Vorlagen italienischer Meister
11
.
8
Familienchronik, S. 90: „Die italienische Sprache, deren Schönheit wir lebhaft empfanden, seit wir
mit Vater Florenz besucht hatten, durften wir zwar erlernen, aber nur unter der Bedingung, dass
die Hausarbeit nicht darunter leide. Es bleib uns also nichts übrig, als dass wir Morgens um 5 Uhr
aufstanden, uns schnell in die Kleider warfen, und dann bis 7 Uhr lernten.“
9
Familienchronik, S. 88: „Die gute Mutter, der unser Drang nach schönen Dingen nicht verborgen
bleiben konnte, befriedigte ihn, indem sie an stillen Samstagabenden mit uns Stahlstiche nach Ge-
mälden der Dresdener Galerie betrachtete. Sie genoss sie auf ihre Weise, indem sie sie scharfsichtig
zergliederte, uns auf besondere Beleuchtungseffekte, auf richtige und unrichtige Verkürzungen von
Armen und Beinen, schöne Hände und Gesichter aufmerksam machte.“
10
Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig-Dresden 1848
−
1851.
11
Zu den Skizzen und Aquarellen Anna Webers und zu ihrer Sammlung von Photographien schrieb
Hans Weber-Zimmerlin, der von Anna Weber betreute Neffe, im Nachwort der Familienchronik,
S. 117: „Die Skizzenbücher meiner Tante Anna beweisen ein starkes zeichnerisches Talent. Es sind
leicht und spontan aufgefangene Eindrücke des Gesehenen. Sie sind selten fertig ausgearbeitet. Ihr
Reiz liegt in ihrer Unmittelbarkeit und in der skizzenhaften Erfassung des Wesentlichen. (...) Sie
hatte eine grosse Sammlung von Photographien italienischer Landschaften, Bauten und von Bil-
dern in eigens angefertigten Mappen aufbewahrt und mich so schon früh teilnehmen lassen an ihrer
Begeisterung für die grosse Kunst der Vergangenheit und ganz besonders der italienischen Kultur.“
Das Frontispiz des Rom-Tagebuchs, einAquarell der Acqua Paola in Rom (Abb. 2), zeigt die Ambi-
guität der schöpferischen Tätigkeit Anna Webers: Schuf sie das Aquarell vor Ort in Rom oder nach
einer zeichnerischen oder einer photographischen Vorlage in Chur? Alle damals geläufigen Stiche
und Photographien zeigen die Acqua Paola allerdings unter anderen Blickwinkeln. Ich kenne nur
zwei Ansichten der Brunnenanlage aus der Richtung, die Anna Weber gewählt hat: einAquarell von
1819 in Joseph Mallord William Turners Skizzenbuch „Albano, Nemi, Rome“ im Besitz der Tate
Britain in London (Turner Bequest CLXXXII [Blayney Brown 2012, Bild 153]) und ein in demsel-
ben Katalog erwähntes Ölgemälde von Thomas Patch (1725-1782), welches sich in Rom, Banco di
Roma, befinden soll, das aber im dort zitierten Aufsatz von F. Watson (Watson 1939-1940) weder
erwähnt noch abgebildet ist.