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Der Liebe ihres Vaters zu Italien folgend, der seine Lehrjahre im damals noch ös-

terreichischen Triest absolviert hatte, erlernten die beiden Töchter neben der in der

Schule unterrichteten französischen Sprache zu Hause auch Italienisch

8

.

Die Mutter sorgte für die kulturelle Bildung von Anna und Emilie

9

: Durch die

kontinuierliche Betrachtung von Adolph Görlings

Stahlstich-Sammlung der vor-

züglichsten Gemälde der Dresdener Galerie

10

legte sie eine solide Basis für die

Kenntnis der abendländischen Malerei. Sie wies ihre Töchter an, auf Details zu

achten, die in der graphischen Umsetzung leichter zu erfassen waren als vor den

Gemälden selbst. Einer insbesondere von Giovanni Morelli

alias

Ivan Lermolieff

geprägten Tendenz der zeitgenössischen Forschung folgend, lernten die Mädchen

anhand individueller Charakteristika die Handschriften der einzelnen Künstler

voneinander zu unterscheiden. Die Unterweisung durch die Mutter fand ihren Nie-

derschlag in Zeichnungen und Aquarellen von Annas Hand. Wie beim Aquarell

der Acqua Paola in Rom (Abb. 2) handelte es sich oft wohl um Nachahmungen

von Vorlagen italienischer Meister

11

.

8

Familienchronik, S. 90: „Die italienische Sprache, deren Schönheit wir lebhaft empfanden, seit wir

mit Vater Florenz besucht hatten, durften wir zwar erlernen, aber nur unter der Bedingung, dass

die Hausarbeit nicht darunter leide. Es bleib uns also nichts übrig, als dass wir Morgens um 5 Uhr

aufstanden, uns schnell in die Kleider warfen, und dann bis 7 Uhr lernten.“

9

Familienchronik, S. 88: „Die gute Mutter, der unser Drang nach schönen Dingen nicht verborgen

bleiben konnte, befriedigte ihn, indem sie an stillen Samstagabenden mit uns Stahlstiche nach Ge-

mälden der Dresdener Galerie betrachtete. Sie genoss sie auf ihre Weise, indem sie sie scharfsichtig

zergliederte, uns auf besondere Beleuchtungseffekte, auf richtige und unrichtige Verkürzungen von

Armen und Beinen, schöne Hände und Gesichter aufmerksam machte.“

10

Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig-Dresden 1848

1851.

11

Zu den Skizzen und Aquarellen Anna Webers und zu ihrer Sammlung von Photographien schrieb

Hans Weber-Zimmerlin, der von Anna Weber betreute Neffe, im Nachwort der Familienchronik,

S. 117: „Die Skizzenbücher meiner Tante Anna beweisen ein starkes zeichnerisches Talent. Es sind

leicht und spontan aufgefangene Eindrücke des Gesehenen. Sie sind selten fertig ausgearbeitet. Ihr

Reiz liegt in ihrer Unmittelbarkeit und in der skizzenhaften Erfassung des Wesentlichen. (...) Sie

hatte eine grosse Sammlung von Photographien italienischer Landschaften, Bauten und von Bil-

dern in eigens angefertigten Mappen aufbewahrt und mich so schon früh teilnehmen lassen an ihrer

Begeisterung für die grosse Kunst der Vergangenheit und ganz besonders der italienischen Kultur.“

Das Frontispiz des Rom-Tagebuchs, einAquarell der Acqua Paola in Rom (Abb. 2), zeigt die Ambi-

guität der schöpferischen Tätigkeit Anna Webers: Schuf sie das Aquarell vor Ort in Rom oder nach

einer zeichnerischen oder einer photographischen Vorlage in Chur? Alle damals geläufigen Stiche

und Photographien zeigen die Acqua Paola allerdings unter anderen Blickwinkeln. Ich kenne nur

zwei Ansichten der Brunnenanlage aus der Richtung, die Anna Weber gewählt hat: einAquarell von

1819 in Joseph Mallord William Turners Skizzenbuch „Albano, Nemi, Rome“ im Besitz der Tate

Britain in London (Turner Bequest CLXXXII [Blayney Brown 2012, Bild 153]) und ein in demsel-

ben Katalog erwähntes Ölgemälde von Thomas Patch (1725-1782), welches sich in Rom, Banco di

Roma, befinden soll, das aber im dort zitierten Aufsatz von F. Watson (Watson 1939-1940) weder

erwähnt noch abgebildet ist.