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Die Kopistentätigkeit zum Schmuck des Elternhauses schlägt eine erste Brücke

zwischen Annas Interessen und dem Werk Theodor Fontanes, insbesondere zu

L’Adultera

12

.

Ein wichtiges Ereignis in Anna Webers Leben war die Calven-Feier von 1899. In

Erinnerung an die 1499 im Rahmen der sog. Schwabenkriege zwischen Bündnern

und Eidgenossen einerseits und Tirolern andererseits geschlagene Schlacht an der

Talenge zwischen dem Val Müstair und dem Vintschgau plante man in Chur ein

hochpatriotisches Festspiel, dessen Teilnehmer in zeitgenössische Trachten ein-

zukleiden waren

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. Als Präsidentin des Frauenkomitees durchforschte Anna ganz

Graubünden nach Vorbildern für Röcke, Blusen, Schürzen und Hauben. Aufgrund

dieser Verdienste ernannte sie die Historisch-Antiquarische Gesellschaft von Grau-

bünden zu ihrem ersten weiblichen Ehrenmitglied. Stolz saß sie bei der Auffüh-

rung des Festspiels auf der Ehrentribüne. Ungeachtet dieser Auszeichnungen war

ihre Selbsteinschätzung von Pessimismus geprägt und ihr resignatives Fazit lautete:

„Mein ist keine Zukunft, und ich werde vergehen ohne Spur. Ich sehe lauter abge-

rissene Fäden“

14

.

Wie erwähnt, repräsentierte Schlösschen Parpan den durch eigener Hände Arbeit

erworbenen Wohlstand der Familie Weber. In diesem Erwerb manifestiert sich ein

Charakteristikum jener Epoche: das Fortschrittsdenken der Generation der sog.

Gründerjahre

15

. Im Bestreben nach kultureller Weiterbildung und nach Sprach-

kenntnis und in der Mitarbeit in historischen Vereinen mit heimatkundlicher Aus-

richtung tut sich eine andere Tendenz des 19. Jahrhunderts kund: das Selbstbe-

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Fontane 1998. Zum Phänomen der Kopien alter Gemälde für den Adel: Kunst und Aufklärung im

18. Jahrhundert 2005, S. 165-170: Vorbild, Abbild und Nachbild. Zur Bearbeitung der Bildungsrei-

sen in der Innenausstattung des Gartenreichs Dessau-Wörlitz (Ch. Holm); 189-191 Nr. 28 Abb. 161

„Gedanken über die Nachahmung“ (R. Melzer). Im selben Katalog findet sich eine Reihe weiterer

Bilder berühmter Maler der Renaissance, die von führenden Malern des 18. und 19. Jahrhunderts

für Wörlitz kopiert wurden.

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Das Textbuch (Bühler /Luck 1899) erschien 1899 in mehreren Auflagen in Chur und in Davos. Zur

Erinnerung an die Feier publizierte man einen prachtvoll illustrierten Bildband: Jecklin 1899. Auf

der Tafel mit den Porträts der Mitglieder des „Organisationscomitée“ erscheint als einzige Frau

unter siebzehn Männern „Frl. A. Weber, Frauencomm.“. Im folgenden Jahr legte das Organisations-

komitee einen Rechenschaftsbericht über seine Tätigkeit ab, in dem „Frau“ bzw. „Frl. A(nna)

Weber“ fünfmal erwähnt wird, und in dem sie auf vier Seiten über ihre Tätigkeit als Präsidentin

des Frauenkomitees schreibt: Bericht Calven-Feier 1900, S. 37-40 (A.W.). Auch in der Familien-

chronik spielt die Calvenfeier eine wichtige Rolle: S. 103-111. Zum Rückblick von 1999 auf die

Calvenfeier von 1899: Röthlisberger 1999; Jäger 1999.

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Familienchronik, S. 113.

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Die Literatur zum Phänomen der Gründerjahre ist

legio

; ich beschränke mich auf einen Titel: Ogger

1995.