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Sophias Tendenz, alle Ecken und Kanten ihres Ehelebens abzurunden, muss nicht

verwundern; ihre Absicht war es nicht, der unbekannten Schweizer Gesprächs-

partnerin Einblick in den Alltag des berühmten Archäologenpaares zu vermitteln,

sondern diese sollte einzig eine strahlende Erinnerung an die Begegnung mitneh-

men.

Wenden wir uns nochmals der Autorin und ihrem Tagebuch zu. Wie zu jener

Zeit üblich hatte sie ihre Reise straff organisiert, schon in Chur ihren

Baedeker

exzerpiert und vielleicht auch Jacob Burckhardts

Cicerone

oder einen der zahl-

reichen Kunstatlanten des späten 19. Jahrhunderts konsultiert. Ein nicht näher

spezifiziertes «Reisebuch» begleitete sie auf ihren täglichen Exkursionen durch

Rom. Das einzige unvorhersehbare Ereignis war die Begegnung mit Familie

Schliemann.

Ihre Reisebeschreibung erinnert an Passagen in Fontanes Romanen: Für die Ge-

bildeten der Zeit war Schliemann eine öffentliche Persönlichkeit von Weltruf. Auf

die Frage: «Wollen Sie Schliemann sehn?» antwortete man nicht zögernd „Wer

ist Schliemann?“ sondern begeistert «Natürlich!». Sophia erkannte man selbst aus

der Ferne. Offensichtlich waren die Physiognomien des zur wissenschaftlichen

Elite zählenden Forscherehepaars dem deutschsprachigen Bildungsbürgertum

ebenso bekannt, wie jene von Popstars der heutigen Jugend.

Die Gespräche der „Sieben Waisen Griechenlands“ in Fontanes

Frau Jenny Trei-

bel

bringen den kulturellen Rang Schliemanns auf den Punkt: Professor Wilibald

Schmidt besitzt den Folianten zu Schliemanns Ausgrabungen in Mykenä, den er

als

pièce de résistance

seiner Bildung behalten wird, „so theuer es ist“

43

. Die be-

ruflichen Chancen seines Neffen Marcell sieht er „mit Urlaub und Stipendium

nach Mykenä (...) und vielleicht auch nach Tiryns oder wo Schliemann gerade

steckt“

44

. Dass es schon damals eine Gegenposition zur Verklärung des Ausgrä-

bers von Troja und Mykene gab, illustriert im selben Roman Professor Friedrich

Distelkamp, welchem Kollege Schmidt in einer lebhaften Diskussion als schla-

gendes Argument entgegenhält: „Du kannst Dir nicht vorstellen, dass Jemand

der Tüten geklebt und Rosinen verkauft hat, den alten Priamus ausbuddelt, und

kommt er nun gar ins Agamemnon’sche hinein und sucht nach dem Schädelriss,

aegisth’schen Angedenkens, so geräthst Du in helle Empörung. (...) Und das alles

bloss, weil Du der ganzen Sache misstraust und nicht vergessen kannst, dass er,

ich meine natürlich Schliemann, in seinen Schuljahren über Strelitz und Fürsten-

43

Fontane 2005, S. 73.

44

Fontane 2005, S. 205.