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scheinbarer Haltung, und trägt so geringe Reisekleidung, dass man ihn im ersten
Augenblick für einen gewerbetreibenden Oberitaliener halten könnte. Ihm gegen-
über leuchten die grossen Augen, das alabasterweisse Gesicht seiner Frau, deren
Äusseres unverkennbar den Stempel gesicherter Lebensbedürfnisse und unange-
fochtener Ehrenstellung trägt.
Wir wurden rasch bekannt, und gross war meine Freude, in den Gefährten einfach
liebenswürdige Menschen zu finden, die ohne Stolz und Selbstüberhebung, ohne
geheuchelte Demuth, der Mann mit würdiger Bescheidenheit, die Frau in ruhiger
Anmuth von ihren Bestrebungen und Erfolgen sprachen.
Sie kamen von Carlsbad, wo Frau Schliemann Heilung von einem Magenleiden
suchte, das ihr die persönliche Bethätigung bei den letztjährigen Ausgrabungen
zugezogen (beschert) hatte. Sie erzählte, dass sie wochenweis, auf den Knien lie-
gend, mit eigener Hand, jeden von den Aufgrabenden (
sic
) ans Licht geförderten
Gegenstand von Thon, Edelmetall, Erz, aufgehoben habe, damit er nicht von den
Arbeitern entwendet werde. Dazu campirte sie mit ihrem Mann in provisorischen
Bretterhütten, bis auch er, dem Klima erliegend, vom Fieber heimgesucht wurde,
das ihn heute noch nicht verlassen hat.
Das alles erzählte sie so sanft und prätentionslos, dass ich Mühe hatte, dieses We-
sen zusammenzureimen mit den Schilderungen, die Berichterstatter von der un-
beugsamen Energie geben, mit der sie monateweis, in Abwesenheit des Gatten,
100-150 Arbeiter überwachte und befehligte. Sie spricht mit Gewandtheit ausser
der Muttersprache die 4 Hauptsprachen. Als ich frug, auf welche Weise sie sich
dieselben angeeignet habe, kamen wir unvermerkt auf ihr Leben zu sprechen, und,
angeregt durch meine Fragen, erzählte sie mir nach und nach ihre Vergangenheit.
Sie ist, als Abkömmling einer griechischen Familie, in Athen geboren, und kam
jung in ein Kloster, wo sie bis gegen das 17. Jahr hin verblieb, die griechische
Sprache, die Realien, die Geschichte ihres Vaterlandes und weibliche Handarbei-
ten erlernend. Schon früh war ihr das Verständnis für Homer aufgegangen, und
die meist unter der Schürze versteckte Ilias, half ihr über die Langeweile mancher
Unterrichtsstunde weg. Der Zeitpunct ihrer Rückkehr ins elterliche Haus fällt mit
dem zusammen, in welchem Schliemann den Entschluss fasste, einen Theil seines
durch kühne Spekulationen in Indigo erworbenen Vermögens für Ausgrabungen
in Griechenland zu opfern, um Licht in das Dunkel der ältesten Mythen zu brin-
gen. Zugleich reifte in dem seit Jahren verwittweten Manne der Wunsch, dieses
Unternehmen mit einer gleichgesinnten Gattin zu vollbringen, und es lockte ihn
der Gedanke, ein lebendes Stückchen Griechenland an’s Herz zu schliessen. Er
wandte sich also an einen aus Athen gebürtigen, in Petersburg lebenden Bischoff,