
195
der zu seinen Bekannten zählte, mit der Bitte, ihm Zutritt in Athenische Familien
zu verschaffen. Er gestand, dass er die Absicht hege, eine Frau zu suchen, und dass
seine erste Bedingung bei der Wahl einer solchen, Kenntnis und Verständnis des
Homer sei. Der Bischoff reichte ihm mit Vergnügen seine hülfreiche Hand, und
zog einen in Athen lebenden Bruder mit in’s Interesse.
Nun ergab ein glücklicher Zufall, dass derselbe ein Verwandter von Frau
Schliemann’s Mutter war, und oft über die unbesiegbare Sucht ihrer Tochter, im-
mer den Homer zu durchstöbern, hatte klagen hören. Was war da natürlicher, als
dass er sich zuerst an diese wandte, und sie veranlasste Fr[au] Schl[iemann] photo-
graphieren zu lassen. Dies geschah, um das junge Mädchen nicht zu beunruhigen,
unter dem Vorwand, dass die Eltern ein Bild aus der Zeit, in der sie ihnen wieder
gegeben worden sei, zu besitzen wünschen. Das Bild wurde Schliemann über-
mittelt, und gefiel ihm so sehr, dass er von Amerika aus, wo er sich eben befand,
telegraphirte, er werde mit dem nächsten Dampfer nach Athen abreisen, und bitte,
die Hand des Fräuleins inzwischen an keinen Anderen zu vergeben.
Er kam an, man vermittelte eine Zusammenkunft an drittem Ort, und das junge
Mädchen ward hinbegleitet. Ahnungslos, wie sie war, behauptete sie, Schliemann
nicht beachtet zu haben, was bei seinem stillen Wesen erklärlich ist. «Wann kam
doch Hadrian nach Athen?» frug er sie plötzlich. «115» erwiderte sie unbefangen.
Später wollte er den genauen Wortlaut eines Homerischen Verses wissen, den er
behauptete vergessen zu haben. Fr[au] Schl[iemann] sagte ihn her, damit endete
aber auch ihre ganze Unterhaltung. Tags darauf wurde ihr Schliemann’s Werbung
mitgetheilt und erklärt, dass sie sich auf die in 8 Tagen stattfindende Hochzeit
vorzubereiten habe.
«Ich war 17 Jahre alt», sagte sie, «verstand nur mein Griechisch, und wusste nichts
von der Welt. Sie eröffnete sich mir aber an einem schönen Punkte. Heinrich führ-
te mich sofort nach Sorrento, wo wir einige Zeit verblieben.»
Die Dame ist jetzt 30 Jahre alt, also sehr jung im Verhältnis zu ihrem Mann. Er
behandelt sie aber mit so gütiger Fürsorge und väterlichem Zartsinn, dass sie hof-
fentlich die fehlende Jugend leicht verschmerzt.
Der kleine 3 jährigeAgamemnon ist ein wundervolles Kind mit goldblonden langen
Locken, schneeigem Teint, und grossen braunen Augen voll lieblichster Schelme-
rei, die 11 jährige Andromache ist ein braunes, kluges Mädchen, mit regelmässiger
Gesichtsbildung. Sie werden von einer Engländerin bewacht, die man aber natür-
lich Eurykleia nennt. Die Kinder haben, um die ihnen endlos scheinenden Reisen,
welche sie jedes Jahr mit den Eltern unternehmen, abzukürzen, Papier und Scheren