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um die Angelegenheiten von Paul und Ernst kümmern können. Jetzt kamen ihm
diese Nachrichten aus Deutschland sehr ungelegen. Am 12. Oktober 1852 hatte
er die Ehe mit Katharina Lyshina vollzogen und war mit der Errichtung einer
Handelszentrale in Moskau beschäftigt.
Einen Tag nach Heinrichs Hochzeit teilte ihm der Vater in einem Brief folgen-
des mit: „In der gewissen Voraussetzung, daß Du mein Schreiben vom 4ten d.
M. bereits erhalten hast und dadurch hinsichtlich Deines Bruders Paul auf das
Schlimmste vorbereitet worden bist, glaube ich jetzt wagen zu dürfen, Dir das
Ableben desselben zu melden! – O, mein geliebter Sohn, wie muß ich noch in
meinem 73ten Lebensjahre … solchen Kummer, ein solches Herzeleid erfahren
und so viele tausend Thränen des bittersten Schmerzes vergießen! … er gehörte
damals schon nicht mehr den Lebenden an, indem er schon am 2ten d. M. sein
Leben aushauchte …“.
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Für die Schwestern war die Nachricht vom Tode Pauls ein Schock. Besonders
Louise hing sehr an Paul, sie hatten ihre Kindheit und Jugend größtenteils zu-
sammen verlebt. Wilhelmine drückte in einem Brief an Heinrich aus, was alle
Schwestern empfanden: „Ach Heinrich, unser Schmerz ist unaussprechlich groß
– also Paul, der arme Knabe, dessen Kindheit nur eine Kette ununterbrochener
Leiden war, ist nicht mehr, er ruht im Grabe, doch nein, wir wollen nicht klagen,
denn er ist ja jetzt viel glücklicher wie wir, seine reine Seele ist nun bei unserm
Ludwig u(nd) unserer Mutter …Ach unser Geschwisterkreis wird immer kleiner,
nun sind wir nur noch fünf an der Zahl – Du nur noch unser einzigster Bruder …
wir stehen hier ja so allein, so verlassen, so voll Schmerz“.
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Erst 11 Tage nach
dem Tode Pauls erhielten die Schwestern Post vom Vater. In der Annahme, die
Ursache für Pauls Tod wäre die Cholera gewesen, müssen sie nun die nieder-
schmetternde Nachricht verkraften, dass Paul einen freiwilligen Tod gestorben
ist.
Der Vater belastete seine Töchter in seinen Briefen an Heinrich schwer. Er ver-
suchte ihnen eine Mitschuld am Tode des Bruders aufzuladen. Sie hätten Hein-
rich bei seinem letzten Besuche „mit falschen Nachrichten bestürmt“ und ihn
gegen ihn aufgebracht. Die Hauptschuld wies er Louise zu, an die sich Paul mit
Klagebriefen gewandt hatte. Sie habe die Schwestern gegen ihn aufgehetzt und
sie hätten Heinrich bei seinem Besuch bewogen, ihn nicht zu besuchen. Er habe
Heinrich bisher die Hintergründe des Freitodes nur deshalb nicht mitgeteilt, um
ihn zu schonen. „Er, der unselige Sohn, erschoß sich am 2ten d. M. gegen 8 Uhr
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GL Serie B, Box 7, Folder 7 / 7093
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