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Freunde.
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Die Ethnographie steht weit oben: ein Brief an Ernest Renan erfüllt ein
Versprechen, über „einige seltsame Dinge“ in Amerika zu schreiben. Auch spielt
das Bedürfnis nach gepflegter intellektueller Konversation eine wichtige Rolle
an einem Ort, den er „dieses Land von Whisky und Abstinenzgesellschaften“
nannte (er musste ein halbes Fass Wein nach Frankreich zurücksenden, weil er
es in Indiana nicht gebrauchen konnte). Deshalb sandte er aus Indianapolis auch
fünf Briefe an seinen Freund Émile Egger.
Die Gesellschaft von Gelehrten war dennoch nicht das Einzige, wonach Schlie-
mann suchte. Im Frühling 1869 schrieb er an seinen ehemaligen Griechischleh-
rer Theokletos Vimpos (inzwischen zum Bischof geweiht), um eine geeignete
griechische Frau zu finden. Letzten Endes schlug Vimpos seine siebzehnjähri-
ge Nichte Sophia Engastromenos vor, für die Schliemann sich entschied. Nach
diesem Beschluss erzählte er sogleich allen Freunden, Verwandten und Ge-
schäftsfreunden von Sophias hervorragenden Eigenschaften und ihrer Lieblich-
keit. Nachdem er dies auch an einen kanadischen Bekannten, James Ferrier aus
Montreal (nicht Toronto, wie Meyer verkündete), geschrieben hatte, schiffte sich
Schliemann nach Europa ein. Etwa am 6. August 1869 kehrte er nach Paris zu-
rück. Am 22. August begab er sich auf die Reise nach Athen.
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Inzwischen erledigte er allerlei Geschäfte mit Beaurain, seinem Bankier und den
Freunden in Paris. Eine am 12. August verfasste Mitteilung ist bemerkenswert.
Sie richtete sich an eine „Mademoiselle Virginie.“ Der kurze Text lautet: „Mich
beehrend, Sie kürzlich vorbeigehend gesehen zu haben, erlaube ich mir, Sie zu
fragen, ob Sie frei sind und ob ich Sie sehen könnte. Mit allerbesten Grüßen,
Monsieur Sophie [
sic!
].“ Anscheinend wurde ein Rendezvous vereinbart. In ei-
nem Brief an Vimpos hatte Schliemann zuvor Zweifel an seiner sexuellen Leis-
tungsfähigkeit geäußert, das Verlangen nach einer letzten Affäre lässt aber auch
eine andere Vermutung zu.
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Schliemann ist schließlich nach Athen gereist, wo er Sophia am 23. September
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Scheidungsanfragen: HS&FP BBB 28, Blatt 6 (4. April 1869, an Adolph Schliemann). Vgl. E.
Lilly, Schliemann in Indianapolis (Indianapolis 1961), 24–28. Brief an Renan: BBB 28, Blätter
19–23 (4. April 1869). „Whisky u. Abstinenzgesellschaften“: BBB 28, Blatt 28 (15. April 1868, an
von Hoffmann). Weinüberschuss: BBB 28, Blätter 25–26 (14. April 1868, an E.W. Schliemann).
Briefe an Egger: BBB 28, Blätter 15–18, 122–128, 133–134, 137, 153–154 (14. April–11. Juli 1868).
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Brief an Ferrier: HS&FP BBB 28, Blätter 164–165 (23. Juli 1869); vgl. Meyer 1969 (Anm. 13),
225. BBB 28, Blätter 176 (6. Aug. 1869, an Erlanger) u. 230 (22. Aug. 1869, an Günzburg).
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„Mademoiselle Virginie“: HS&FP BBB 28, Blatt 192 (12. Aug. 1869). Traill 1995 (Anm. 4),
67–68 u. Anm. 24 (betreffs BBB 28, Blatt 52, an Vimpos). Vgl. E. Carvalho (Rez. von D. Traill,
Excavating Schliemann: Collected Papers on Schliemann, Atlanta 1993), Scholia 4 (1995), 129–
130, u. Scholia Reviews 4, 7 (1995), sowie HS&FP B Box 60, No. 385.
 
	
	 
					 
				 
				


 
		
