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Informationsblatt 32 Dezember 2020
Beiträge und Berichte
chentages „Montag“ konnte das Jahr eingeschränkt werden, d.
h. der 6. Juli muss ein Montag gewesen sein.
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Seit den Arbeiten
von Max Unger und Wolfgang Thomas-San Galli im Jahre 1909
steht für fast alle Beethovenforscher fest: Der Brief wurde am
6. (Montag)/7. Juli 1812 geschrieben. Zu jener Zeit nahm Beet-
hoven die Kur in Teplitz. Der Brief ging
nach
„K.“ (Karlsbad),
wobei andere glauben, dass er
über
K. nach Franzensbad gehen
sollte.
Nach der gründlichen Bestandsaufnahme von Harry Gold-
schmidt im Jahre 1977 blieben damit nur noch zwei ernsthafte
Kandidatinnen übrig: Gräfin
Josephine von Brunswick
(ab 1799
verheiratete Gräfin Deym, seit 1810 Baronin Stackelberg), zu
der Beethoven nachweislich nach dem Tod ihres ersten Man-
nes zwischen 1804 und zumindest 1807 eine heftige (platoni-
sche) Liebesbeziehung hatte sowie
Antonie Brentano
(geborene
Edle von Birkenstock). Josephine brachte La Mara (Pseudonym
für Marie Lipsius) ab 1920 ins Gespräch, Antonie dagegen die
Japanerin Yayoi Aoiki 1959. Allerdings nimmt diese „Entde-
ckung“ der Amerikaner Maynard Solomon seit 1972 für sich
in Anspruch. Interessant ist, dass bereits Alexander Wheelock
Thayer 1872 in seiner mehrbändigen Beethovenbiographie auf
Seite 77 schrieb: „Wir könnten hier die Namen zweier verheira-
teter Frauen nennen, denen Beethoven in einer späteren Periode
mit Wärme zugethan war; da dieselben aber zum Glück bisher
den Augen unserer literarischen Gassenkehrer entgangen sind,
sollen sie auch hier unterdrückt bleiben.“
16 Es sei denn, Beethoven hat in seiner Zerstreutheit das Datum
durcheinandergebracht, was auch vermutet wurde, um eigene
Theorien über den Namen der Dame zu stützen.
Die „Unsterbliche Geliebte“ muss bestimmte Kriterien erfüllen,
die hier aus Platzgründen nicht zur Sprache kommen können.
Deshalb nur noch so viel: Es gibt gute Gründe dafür, dass Beet-
hoven seine „Unsterbliche Geliebte“
unverhofft
am 3. Juli 1812
in Prag traf und mit ihr eine schöne Nacht verbrachte (und ein
Kind zeugte). Antonie war da, dass wusste der Meister, jedoch
mit Mann, Kind und Kegel. Josephine
könnte
in Prag gewesen
sein. Beide Frauen entbanden acht bzw. neun Monate später.
Josephine nannte ihre Tochter Minona (rückwärts gelesen
an-
onim=anonym
).
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Das Theater Regensburg zeigt, so es denn we-
gen Corona wieder zeigen darf in diesem Jahr die Oper „Mino-
na – Ein Leben im Schatten Beethovens“. Die meisten Gründe
Beethovens „Unsterbliche Geliebte“ zu sein, treffen zumindest
im deutschen Sprachraum auf Josephine von Brunswick zu
(Abb. 11). Jedoch gibt es auch einige Anhaltspunkte, die da-
gegensprechen, die also in Zukunft geklärt werden müssen, so
es denn möglich ist.
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Auch zu Josephines Geschwister pflegte Beethoven enge Bezie-
hungen. Graf Franz von Brunswick war sein Duz-Bruder. Ihm
und seiner Schwester Therese widmete er bedeutende Werke,
Josephine jedoch nicht. Ihre Beziehung sollte geheim gehalten
werden. Doch ohne sie gäbe es wahrscheinlich viele große Kom-
positionen Beethovens nicht.
Wie schon angedeutet, können wir uns unter diesem Abschnitt
beim Archäologen sehr kurzfassen. Heinrich Schliemann en-
gagierte Hauslehrerinnen aus Deutschland, der Schweiz und
England für seine beiden griechischen Kinder Andromache und
Agamemnon. Jene waren dann oft auch Gesellschafterinnen
seiner Frau Sophia. Mit der Suche nach geeigneten Personen
beauftragte er – oder sollten wir sagen: belästigte er? – sogar
Professor Virchow, dem diese Aufgabe gar nicht recht war, weil
jede Empfehlung mit Unwägbarkeiten verbunden war.
Virchow schreibt am 22. Juni 1879 an Schliemann: „Die Nach-
forschungen nach einer Erzieherin für Ihre Kinder sind fortge-
setzt worden. Als Ergebnis lege ich Ihnen die beiliegende Notiz
bei, welche sich auf Fräulein Toni Brunswick bezieht. Ich kenne
die Dame nicht, aber sie ist mir von einer Seite empfohlen wor-
den, der ich vollständiges Vertrauen schenke. Sie würde sich ja
in England mit Leichtigkeit die weiteren Anknüpfungen schaf-
fen können.“ Darauf antwortete
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Schliemann in einem Brief
vom 26. Juni aus Paris etwas nebulös: „Wir benötigen eine ein-
17 Eine noch engere Beziehung zu Beethoven lässt sich konstruieren,
wenn man weiß, dass die Sängerin
Minona
in der harfenklang-
durchrauschten Festhalle von Selma das Leid Colmas besingt,
deren Bruder von ihrem Geliebten Salgar erschlagen wurde. Ge-
schildert im von James Macpherson fingierten altgälischen Epos
„Ossian“.
18 Aus der Überfülle an Literatur seien nur genannt: Harry Gold-
schmidt: Um die Unsterbliche Geliebte. Eine Bestandsaufnahme
(Beethoven-Studien 2), Leipzig 1977; Marie-Elisabeth Tellenbach:
Beethoven und seine „Unsterbliche Geliebte“ Josephine Bruns-
wick. Ihr Schicksal und der Einfluß auf Beethovens Werk. Zürich
1983; John E. Klapproth: Handbuch Unsterbliche Geliebte. Alles
über die einzige Frau, die Beethoven je geliebt hat (dtsch. Über-
setzung von The Immortal Beloved Compendium – Comprehensi-
ve Edition – Everything About the Only Woman Beethoven Ever
Loved, 2017), 2018.
19 Oder haben sich die Briefe gekreuzt?
Abb. 11 – Josephine von Brunswik als Bacchantin (Privatbesitz Rom)