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Informationsblatt 32 Dezember 2020
Beiträge und Berichte
Beethovens Beschäftigung mit der Antike ist eingebettet in
die klassischen Studien im Zeitalter der Aufklärung (Win-
ckelmann, Wolf, Lessing, Goethe, Schiller etc.) und der
französischen Revolutionszeit, die ja an antike, genauer:
römische Verhältnisse anknüpfte, sowie in seinem allgemei-
nen Wissensdrang, aus jeder Epoche und Region die Ge-
danken der Weisesten zu erfassen und sie sich als Künstler
und Mensch zu eigen zu machen. An der Bonner Universi-
tät besuchte er mit seinen Freunden auch die Vorlesung über
griechische Literatur durch den „revolutionären Professor“
Eulogius Schneider (1756 – 1794). Von ihm ist die Aussage
überliefert, dass ein guter Geschmack und echte Humanität
vorzüglich durch das Studium der alten Griechen und Rö-
mer hergestellt werden muss. Altgriechisch und Latein, jene
Sprachen, die beim genauen Studium des Altertums wich-
tig sind, beherrschte Beethoven zeitlebens nicht. Doch war
er später sehr stolz auf die Altgriechisch-Kenntnisse seines
Neffen Karl (1806 – 1858).
Er selbst führte oft lateinische Redewendungen im Munde.
Nulla dies sine linea - Kein Tag ohne Linie (Arbeit).
Diese
Devise des griechischen Malers Apelles, die sich mit Goe-
thes Grundsatz von der unablässigen Tätigkeit deckt, mußte
dem schöpferischen Genie aus dem Herzen sprechen.
Beethovens Beschäftigung mit der Antike hängt natürlich
eng mit seinem gesamten Umfeld zusammen. Damit meine
ich nicht nur die Beziehungen zu gebildeten Personen und
zur Universität, sondern das geistig-kulturelle Leben der
Städte Bonn und Wien allgemein. Dazu zählen dann auch
architektonische Einflüsse, also antikisierende Bauten, der
reiche Buchbestand in ihren Bibliotheken sowie das gesam-
te Repertoire der Theater in der kurfürstlichen Residenz am
Rhein und der Kaiserstadt an der Donau. Beethoven war
nicht der erste, und er ist nicht der letzte Komponist, der sich
mit der Antike auseinandersetzte. Erinnert sei hier nur an die
zahlreichen Opern mit antikem Hintergrund von Montever-
di, Händel und Gluck. Denken wir auch an Erik Saties sin-
fonisches Drama mit Singstimme in drei Teilen „Sokrates“
(1918), an Max Bruchs Oratorium „Achilleus“ (1885) oder
an Strawinskys „Oedipus Rex“ (1927). Seit der Renaissance
gehört in der Musik die Auseinandersetzung mit der Antike
dazu. Beethoven bildet in dieser Hinsicht also keine Aus-
nahme. Seine Beschäftigung mit der Antike ist also stets in
einem großen Zusammenhang zu sehen.
Heinrich Schliemann lebte zumindest seit 1868 für das Al-
tertum. Mit Homer in der Hand suchte er nach Troja. Später
wird der griechische Reiseschriftsteller Pausanias in My-
kene sein Führer werden. Trotz aller Fehler, die ihm unter-
liefen (die Spatenarchäologie steckte aber auch noch in den
Kinderschuhen!), seiner vorschnellen Schlussfolgerungen
und leider auch seiner mitunter unwahren Behauptungen,
kann heute keiner ernsthaft bezweifeln, dass die prähistori-
sche Forschung diesem Mann sehr viel verdankt:
Auf dem Hügel Hisarlık grub er ab 1871 einen bis dahin
unbekannten bronzezeitlichen Siedlungsplatz aus, den die
meisten Forscher als homerisches Troja anerkennen, wenn
auch in den Schichten VI h oder VII a und nicht, wie Schlie-
mann glaubte, in der Schicht II. Seine Sammlung „Troja-
nischer Alterthümer“ mit dem sog. Schatz des Priamos
schenkte er 1881 „dem deutschen Volk zu ewigem Besitz
und ungetrennter Aufbewahrung in der Reichshauptstadt“
(Abb. 6).
Abb. 5 – Beethoven als Zeus. Großplastik von Max Klinger (1902).
Original: Museum der bildenden Künste Leipzig
Abb. 6 – Schliemann bei der Aufstellung seiner „Trojanischen Altert-
hümer“ im Berliner Kunstmuseum 1881. Zeitschrift „Daheim“ 1882