Seite 74 Informationsblatt 32 Dezember 2020
Beiträge und Berichte
In Mykene entdeckte er 1876 nicht nur fünf reich ausgestattete
königliche Gräber (Schachtgräberbezirk A), sondern eine gan-
ze Zivilisation, die mykenische Kultur. Und in Tiryns grub er
zusammen mit Wilhelm Dörpfeld 1884/85 die Überreste des
mykenischen Palastes aus. Außerdem führte er viele andere
kleinere Grabungen aus.
Schliemann besaß eine große Kenntnis der antiken Literatur.
Wer nur allein in seinen zehn Büchern herumblättert, findet
den Beweis dafür. Und das Sprachgenie konnte die antiken Au-
toren mühelos im Original lesen.
4. Versöhnung mit Homer
Maria Helene von
Breuning, deren Mann
beim Brand im Bonner
Schloss im Januar 1777
ums Leben gekommen
war, engagierte 1784
den 14-jährigen Beet-
hoven als Klavierlehrer
für zwei ihrer vier Kin-
der und dieser wurde
bald selbst als Kind des
Hauses behandelt. Hier
lernte Ludwig früh das
„Schöne und das Gute“
(
καλὸς καὶ ἀγαθός
)
ken-
nen. Vor allem zu Eleo-
nore und Stephan (Abb.
7) hielt er lebenslangen Kontakt. Stephan (1774 – 1827) lebte
seit 1801 als k. k. Hofkriegsrat ständig in Wien. Ihm widmete
der Meister sein Violinkonzert und Stephan half 1806 bei der
Umarbeitung von Beethovens einziger Oper „Leonore“ bzw.
„Fidelio“. Nach Beethovens Tod wurde er Vormund des Neffen
Karl. Die enge Freundschaft beider Männer ist durch Miss-
helligkeiten zweimal unterbrochen worden: 1804 für ein paar
Monate und ab 1815 für mehrere Jahre.
Beethoven hatte in seinem eigenen Exemplar der „Odyssee“
in der Übersetzung von Johann Heinrich Voß auch folgende
Stelle (Od. 8, 408 f.) angestrichen: „… Und fiel ein kränkendes
Wort hier / Unter uns vor, so mögen es schnell die Stürme ver-
wehen!“ Nach Aussage von Beethovens Amanuensis, Biogra-
phen und Fälscher Anton Schindler
9
wollte sich der Komponist
nach dem 30. Juli 1826, sein Neffe Karl hatte an diesem Tag
einen Selbstmordversuch unternommen, mit diesem Spruch
mit Stephan von Breuning wieder aussöhnen. Breuning hatte
Beethoven 1815 von der Adoption des Neffen abgeraten, und
beide Männer hätten sich darauf Jahre lang zerstritten. Gesi-
chert ist das Ganze nicht, denn Stephans Sohn, Gerhard von
Breuning, der 1874 seine Erinnerungen „Aus dem Schwarz-
spanierhause“
10
publizierte, weiß nichts davon. Wenn er sich
richtig erinnert, so hatten beide Jugendfreunde schon längst
vor dem schicksalhaften Ereignis wieder Kontakt.
9 Anton Schindler: Biographie von Ludwig van Beethoven, Leipzig
1970, S. 382 (nach der 3. Originalauflage: Münster 1860).
10 Hier hatte Beethoven seine letzte Wohnung, in der er starb.
Bei Schliemann liegt die
Sache anders. Hier wissen
wir genau, dass er sich mit
Freund Virchow (Abb. 8)
mit diesem Odyssee-Zi-
tat wieder aussöhnte. Es ist
weitgehend bekannt, dass
der Universalgelehrte und
der Archäologe seit 1875
engen Kontakt hatten. Doch
ihre Freundschaft geriet
durch manches Verhalten
Schliemanns hin und wie-
der in Gefahr. Zum zeit-
weiligen Bruch kam es auf
einer Konferenz der Deut-
schen Gesellschaft für An-
thropologie, Ethnologie und
Urgeschichte Anfang August 1885 in Karlsruhe. Beim Festes-
sen fühlte sich der Troja-Ausgräber zurückgesetzt und verlässt
sofort den Tagungsort. Er schreibt am 13. August 1885 aus St.
Moritz:
„Herr Geheimrat Virchow
Ich glaubte, wir hätten ein lebenslängliches Freundschafts-
bündnis, nicht nur für uns, sondern auch für unsere Kinder,
geschlossen, und nichts war mir ferner als der Gedanke, daß
dasselbe plötzlich aufgehoben werden könnte. So ist es aber
geschehen! Zweimal forderte mich Hofrat Wagner in Ihrer und
Ihrer Frau Gegenwart auf, diese zu Tische zu führen und mich
neben ihr hinzusetzen. War dies nicht nach Ihrem Willen, so
hätte ein ihm oder mir gesprochenes freundliches Wort hinge-
reicht, die Sache nach Ihren Wünschen zu ordnen. Sie zogen es
aber vor, mich öffentlich, gebieterisch auf einen anderen Platz
zu verweisen!
Ich habe in meinem Leben der Beschimpfungen und Beleidi-
gungen viele zu ertragen gehabt, jedoch hat mich – wenigs-
tens seit 40 Jahren – keine derselben so tief verletzt als die mir
von Ihnen beim Festessen in Karlsruhe geschehene. Sie haben
somit unsere Freundschaft auf mutwillige gewaltsame Weise
gebrochen. Alles, was meiner Frau und mir somit zu tun übrig
bleibt, ist, für dies Leben Abschied von Ihnen zu nehmen.“
Wir wollen das mimosenhafte Verhalten Schliemanns hier
nicht weiter kommentieren. Jedenfalls war es erstmal mit der
Freundschaft vorbei.
Am 3. April 1887 schrieb Sophia Schliemann einen Brief an
Virchow, in dem sie u. a. bemerkte: „Bei meinen Vorfahren
des Altertums war es aber Sitte, daß in ähnlichen Fällen, derje-
nige welcher die Veranlassung zur Feindschaft gegeben hatte,
dem anderen die homerische Stelle zurief: ‚Freue dich, Vater
und Gast! Und fiel ein kränkendes Wort hier / Unter uns vor, so
mögen es schnell die Stürme verwehen!‘ (Od. 8, 408 f.), worauf
dieser ihm die Verse antwortete: ‚Aber vergangen sei das Ver-
gangene, wie es auch kränkte / Dennoch das Herz im Busen be-
zähmen wir auch mit Gewalt uns!‘ (Il. 18, 112 f.) und damit war
jegliche Differenz ausgeglichen und die frühere Freundschaft
wieder hergestellt.
Abb. 7 – Beethovens Freund Stephan
von Breuning (von ihm existieren kaum
Bilder)
Abb. 8 – Schliemanns Freund Ru-
dolf Virchow