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Informationsblatt 32 Dezember 2020
Beiträge und Berichte
nimmt. Er will es noch nicht öffentlich machen. Deshalb zieht
er sich aus der Gesellschaft zurück.
Das „Heiligenstädter Testament“
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wurde im November 1827
von der Kunsthandlung Artaria & Co. dem Vormund von Beet-
hovens Neffen Karl (1806-1858), dem k. k. Hofkonzipisten Ja-
kob Hotschevar übergeben, der es dann der Mutter des jungen
Mannes Johanna van Beethoven aushändigte. Als diese in fi-
nanzielle Not geriet, verkaufte sie das wertvolle Schriftstück
1842 durch Vermittlung von Franz Liszt an den damals sehr
berühmten Geiger Heinrich Wilhelm Ernst. Dieser schenkte es
als Dank für ein gemeinsames Konzert im Oktober 1855 Jenny
Lind-Goldschmidt und ihrem Mann Otto Goldschmidt, der am
15. September 1888, ein Jahr nach dem Tode seiner Frau, aus
London schrieb: „An die Stadt-Bibliothek zu Hamburg an der
Elbe. Ich habe hiermit das Vergnügen, der Hamburger Stadtbi-
bliothek das Autograph von L. van Beethoven’s Testament aus
dem Jahre 1802 (…) als bleibendes Eigentum zu überweisen.“
Er betont, dass die Schenkung nach Hamburg ein Wunsch von
Jenny war, „in der sie zu allen Zeiten und namentlich in ihrer
Jugend, warme Aufnahme in jeder Richtung gefunden hat.“
Das Dokument befindet sich heute in der Staats- und Universi-
tätsbibliothek Hamburg (Signatur: ND VI 4281).
Kommen wir jetzt wieder zum berühmten mecklenburgischen
Pfarrerssohn. Schliemann besuchte nach einer Eintragung in
seinem ersten Amerikatagebuch am 18. Mai 1852 (nach reich-
lich 15-monatigem Aufenthalt in den USA, wo er hauptsäch-
lich von April 1851 bis April 1852 in Sacramento sein bisheri-
ges Vermögen, das er bisher in Russland erworben hatte, durch
Ankauf von Goldstaub verdoppelte) auch eines der drei Ab-
schiedskonzerte der berühmten schwedischen Sängerin Jenny
Lind. Er schreibt: „Ich besuchte meinen Freund …, mit dem ich
abends zum Abschiedskonzert von Jenny Lind in der Metrop-
olitan Hall ging. Die gefeierte Sängerin hat kürzlich in Boston,
Massachusetts, einen Juden namens Goldschmidt geheiratet,
einen Pianisten aus Hamburg, der aus diesem Grunde den
christlichen Glauben angenommen hat. Jenny Lind gedenkt
am 29. Mai mit dem Dampfer „Atlantic“ nach Europa abzurei-
sen und gab deshalb am 18., 20. und 22. ihre Abschiedskonzer-
te; Eintrittskarten zu drei, zwei und einem Dollar. Jenny Lind
hat ein Einkommen von 20.000 Pfund im Jahr.“
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Das Pro-
gramm war bei allen drei Konzerten gleich: Cherubini, Bellini,
Mendelssohn, Rossini, Meyerbeer u. a. Auch Ehemann Gold-
schmidt trat dabei als Pianist und Komponist in Erscheinung.
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8. Der Nachlass
Kaum ein anderer Komponist hat einen so gewaltigen Nachlass
hinterlassen wie Ludwig van Beethoven. Und damit sind nicht
21 Bereits am 17. Oktober 1827 in der Leipziger Allgemeinen Musika-
lischen Zeitung veröffentlicht.
22 Zitiert nach: Abenteuer meines Lebens. Heinrich Schliemann
erzählt, hrsg. u. erläutert von Heinrich Alexander Stoll, Leipzig
1983
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, S. 121 f. Englisches Original: Schliemann’s first visit to
America 1850-1851, edited by Shirley H. Weber, Cambridge, Mas-
sachusetts 1942, p. 84 f.
23 Jenny M. C. G. Maude: The Life of Jenny Lind, London 1926, S.
174 f. Das Datum des letzten Konzertes wird mit 24. Mai angege-
ben und nicht, wie Schliemann vermerkt, am 22.
vordergründig seine rund 800 musikalischen Werke
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gemeint,
sondern ganz persönliche Dokumente, die über sein Leben und
seinen Schaffensprozess Auskunft geben. Dieser lässt sich in
Beethovens-Autographen, in von ihm korrigierten Kopisten-
abschriften und den Originalausgaben der Partituren nach-
vollziehen. Die Edition einer Gesamtausgabe von textkritisch
fundierten authentischen Notentexten liegt in den Händen
des Bonner Beethoven-Archivs (Abb. 13).
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Es gibt Tausende
schwer zu entziffernde Skizzenblätter und handschriftliche
Arbeitspapiere.
Die von der gleichen Institution herausgegebene Briefwechsel-
Gesamtausgabe umfasst knapp 2.300 Nummern. Das ist zwar
im Vergleich zu Schliemann eine relativ geringe Anzahl, doch
im Vergleich zu Beethovens Komponisten-Kollegen eine gan-
ze Menge.
Schon erwähnt wurden die 137 (von ehemals 400?) Konver-
sationshefte, die einen unschätzbaren Einblick in Beethovens
letzte Lebensjahre geben.
Erwähnt werden müssen noch die zwei Tagebücher aus Beet-
hovens frühen Jahren bzw. aus der Zeit zwischen 1812 bis 1818,
in der der Meister unter dem Verlust seiner „Unsterblichen
Geliebten“ litt und der Ärger mit seiner Vormundschaft über
Neffe Karl begann. Ein Stammbuch („Poesiealbum“) aus dem
Jahre 1792 gibt einen kleinen Einblick über Ludwigs Freunde
in Bonn, die ihm alles Gute für seine Reise nach Wien wünsch-
ten.
Konnten wir bei Beethoven „nur“ bemerken, dass kaum ein
anderer Komponist so viel wie er hinterlassen hat, so besteht
bei Schliemann kein Zweifel darüber, dass dessen Nachlass im
Vergleich zu seinen „Kollegen“ der gewaltigste ist.
24 Dazu zählen die 138 Werkgruppen mit Opus-Zahlen (unter op. 18
sind beispielsweise 6 Streichquartette oder unter op. 30 und op. 31
jeweils 3 Klaviersonaten zusammengefasst), über 200 Werke ohne
Opus-Zahlen (WoO), unvollendete Werke sowie Werke mit Hess-
Nummern.
25 S. unter
https://www.beethoven.de/de/wissenschaft#beethoven-archiv
.
Abb. 13 – Blick zum Beethovenhaus (mit Fensterläden) in der Bonngasse