

Seite 72 Informationsblatt 32 Dezember 2020
Beiträge und Berichte
Die Familienverhältnisse imAnkershagener Pfarrhaus sind den
Leserinnen und Lesern des Informationsblattes der Heinrich-
Schliemann-Gesellschaft vor allem durch die vielen Arbeiten
von Wilfried Bölke dazu weitgehend präsent und bedürfen hier
keiner größeren Ausführungen.
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Schliemann hatte keine glückliche Kindheit. In seinen Publika-
tionen behauptete er oft das Gegenteil. Wir kennen die Schil-
derungen in seiner Selbstbiographie von 1880/81, in der er u.
a. behauptet, dass sein Vater ihm zu Weihnachten 1829 eine
„Weltgeschichte für Kinder“ geschenkt hätte, in der auch eine
Abbildung des brennenden Trojas zu sehen ist. In einem Ge-
spräch mit dem Vater entschließt sich der kleine Heinrich, wenn
er einmal groß und reich ist, nach dem sagenhaften Ort zu su-
chen und ihn dann auszugraben. Dieser „Traum von Troja“ ist
längst ad acta gelegt. Leugnen sollten wir aber nicht, dass in
einem evangelischen Pfarrhaus durchaus auch über das Alter-
tum und über Literatur gesprochen werden konnte. Freilich war
Pastor Schliemann mit Alkohol und „Weibergeschichten“ sehr
beschäftigt, was zu Spannungen im Familienleben führte.
Am 22. März 1831 stirbt Schliemanns Mutter im Alter von 38
Jahren. Für den kleinen Heinrich ist das ein unersetzlicher Ver-
lust. Der Vater wird 1832 wegen unmoralischen Lebenswandels
vom Großherzog von Mecklenburg-Schwerin vom Dienst sus-
pendiert. Da war Heinrich schon bei einem Onkel in Kalkhorst.
Für den Tod der Mutter machte er seinen Vater verantwortlich,
wie wir es drastisch formuliert vom 30-jährigen Schliemann in
seinem italienischen Sprachübungsheft erfahren:
„Mein Vater war Pastor ... Er hatte viele Kinder und wenig Geld.
Er war ein liederlicher Mensch, ein Wüstling; er enthielt sich
nicht unzüchtiger und ehebrecherischer Beziehungen zu Mäg-
den, die er seiner eigenen Frau vorzog. Seine Frau mißhandelte
er, und ich erinnere mich aus meiner frühesten Kindheit, daß
er sie wüst beschimpfte und bespuckte. Er schwängerte sie, um
sie loszuwerden, und mißhandelte sie mehr denn je während
ihrer (letzten) Schwangerschaft. So kam es, daß ein Nervenfie-
ber, an dem sie erkrankte, schnell zu ihrem Tode führte. Mein
Vater täuschte dann schweres Leid und großen Kummer vor,
und veranstaltete ein prächtiges Begräbnis für sie, die er aus
Schlechtigkeit getötet hatte, und obgleich es Winter und die
Erde gefroren war, ließ er eine prunkvolle Grabstätte aus Stein
errichten ... von einem Gitter umgeben und mit folgender In-
schrift versehen: ‚Ruhe in Frieden, süße Frau! Mutter! Schlafe,
bis die große Posaune ertönt und Dich aus dem Dunkel des
Grabes uns wiederbringt. Wir werden Deiner gedenken, bis
der Geist von der Schale der Lethe trinkt‘, ...“
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1858 wird der in Russland reich gewordene Kaufmann auf dem
Grab seiner Mutter ein prächtiges Grabkreuz errichten (Abb.
4). Zu seinem 1870 in Lyck (Ostpreußen) im Alter von 90 Jah-
ren verstorbenen Vater verband ihn solange dieser lebte wohl
eine Hassliebe. Über dessen Grab ist wie bei Beethovens Vater
nichts bekannt.
6 Wilfried Bölke: Heinrich Schliemann und Ankershagen – Heimat,
Kindheit und Elternhaus, in: Mitteilungen aus dem Heinrich-
Schliemann-Museum Ankershagen, Heft 2, 1988.
7 Niederland 1965 (s. Anm. 2), S. 567.
3. Die Liebe zum Altertum, zu Homer und anderen anti-
ken Dichtern
Ludwig van Beethoven
war ein großer Bewunderer der
Schriftsteller der Antike. Vor allem begeisterte er sich für die
homerischen Dichtungen
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und für Plutarchs Parallelbiogra-
phien großer Griechen und Römer.
Er
verglich sich manchmal
mit mythischen Gestalten, wie z. B. mit dem großen Dulder
Odysseus, mit dem in vielen Künsten erfindungsreichen Dai-
dalos, dem feuerbringenden Prometheus oder mit dem starken
Helden Herakles sowie mit dem Titanen Atlas.
Zeitgenossen
sahen in Beethoven einen neuen Orpheus oder bezeichneten
ihn als „ersten Priester des Apollo“. Sogar mit Zeus wurde er
in Verbindung gebracht (Abb. 5)!
In jeder seiner vielen Wohnungen, die der Meister im Verlau-
fe seines Lebens bezog, hatte stets eine Büste des legendären
Begründers der Römischen Republik, Lucius Iunius Brutus,
einen Ehrenplatz. Bei einigen seiner Kompositionen dienten
ihm antike Themen als Ideenvorlage.
8 Sehr intensiv las er in der „Odyssee“ und strich sich dort über 60
Stellen an. Reinhard Witte: Beethoven, Homer und die Antike, in:
Das Altertum 48 (Heft 1), 2003, S. 3-54; Friederike Grigat: Die
Odyssee. Leitbild für Kunst und Leben. Beethoven im Sog der Ho-
merbegeisterung, in: Bernhard R. Appel und Julia Ronge (Hgg.):
Beethoven liest (Schriften zur Beethoven-Forschung 28), Bonn
2016, S. 203-250.
Abb. 4 – Grab der Mutter Schliemanns auf dem Friedhof in Ankers-
hagen