Background Image
Previous Page  81 / 96 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 81 / 96 Next Page
Page Background

Seite 81

Informationsblatt 32 Dezember 2020

Beiträge und Berichte

nissen, hielten ihn für konfus und stießen sich an seinem un-

angenehmen Auftreten. Der britische Altertumsforscher und

Parlamentarier William C. Borlase verbreitete wohl als erster

die Nachricht, dass entgegen der Behauptung Schliemanns sei-

ne griechische Frau Sophia nicht beim Auffinden des „Schatzes

des Priamos“ dabei war, sondern nur sein Vorarbeiter Yannakis.

Hauptmann a. D. Ernst Bötticher behauptete, die Ausgrabungs-

stätte auf dem Hügel Hisarlık (Troja) wäre keine bronzezeitliche

Siedlung, sondern eine Feuernekropole. Und die satirische Zeit-

schrift „Kladderadatsch“ amüsierte sich köstlich vor allem in

den 1870er Jahren über den Kaufmann und Autodidakten.

Nach Schliemanns Tod wurde er allmählich zu einem „Heros“,

einem Vorbild für die Jugend, zum „Vater der mykenischen Ar-

chäologie“ und zu einem „Pionier der Spatenwissenschaft“ und

überhaupt zur Personifikation der Archäologie schlechthin. In

vielen biographischen Abhandlungen (Monographien, Artikel)

wurde vor allem das Positive in seinem Leben und Werk, sein

traumhafter Aufstieg vom armen Dorfjungen zum weltbekann-

ten schwerreichen Mann, hervorgehoben. Mit dem verstärkten

Zugriff auf Schliemanns gewaltigen Nachlass (der sich nun

hauptsächlich in der Gennadius Library befand) ab den 1960er

Jahren änderte sich langsam das Bild. Und dann kam das Jahr

1972. Am 150. Geburtstag Schliemanns hielt der amerikanische

Professor für Altphilologie William Calder III im Neubukower

Pfarrhaus seine selbst zum Mythos gewordene „mid-night lec-

ture“. In dieser wies er Schliemann mehrere Lügen u. a. in des-

sen Selbstbiographie von 1880/81 nach.

29

Das Fass der Pandora

war geöffnet. Besonders David Traill folgte Calders Spuren und

29 William Calder III: Schliemann on Schliemann. A Study in the Use

of Sources, in: Greek, Roman and Byzantine Studies 13, 1972, p.

335-353. Bei den sieben Kritikpunkten ging es noch ausschließlich

um Unwahrheiten im persönlichen und noch nicht im fachlichen

Bereich (z. B.; kein „Traum von Troja“, keine Liebesbeziehung zu

Minna Meincke, keine altgriechische Dissertation, keine amerika-

nische Staatsbürgerschaft).

zweifelte u. a. die Echtheit des sog. Schatzes des Priamos und der

„Agamemnon-Maske“ an (Abb. 16). Dann kam es bis zum 100.

Todestag Schliemanns und weit darüber hinaus fast zu einem

Wettbewerb zwischen Schliemannforschern um „Entdeckun-

gen“ weiterer kritischer Punkte in dessen Leben und Werk. Heu-

te lassen sich davon fast dreißig aufzählen. Es sind ohne Zweifel

dabei wichtige Erkenntnisse gewonnen. Doch wurde auch oft

über das Ziel hinausgeschossen.

Dennoch hat auch Schliemann die Entmythologisierung über-

lebt, doch es sind große Wunden geblieben. Als ehemaliger Mu-

seumsleiter weiß ich davon zu berichten. Gerade in Schliemann

entfernt stehenden Kreisen hat sich von ihm ein negatives Bild

festgesetzt, geprägt durch Veröffentlichungen von „Sensations-

journalisten“, sog. Bestsellerautoren und schlechten Filmen. Wir,

die wir uns länger und näher mit dem mecklenburgischen Pfar-

rerssohn beschäftigt haben, wissen, dass Heinrich Schliemann

es trotz allem verdient hat, dass es für ihn in Ankershagen ein

Museum und in Neubukow eine Gedenkstätte gibt. Und er hat es

verdient, dass 2022 sein 200. Geburtstag gefeiert wird.

Dr. Reinhard Witte,

Waren (Müritz)

Abb. 15 – Katalog der Sonderausstellung im Beethoven-Haus Bonn, 1986

Abb. 16 – Eine der frühen kritischen Publikationen aus dem Jahre

1986