Seite 44 Informationsblatt 29 April 2018
Beiträge und Berichte
und trat am nächsten Tag meine Stellung an. Meine Aufgabe
war es, Briefe zur Post zu bringen, Rechnungen zur Annahme
vorzulegen etc.
Anfang 1842 befand sich in Amsterdam ein berühmter Kal-
ligraph aus Brüssel mit Namen Magnée. Herr Schröder bot
mir freundlicherweise an, die Lektionen für mich zu bezah-
len, falls ich [Schön-]Schreiben zu erlernen wünschte, wor-
auf ich freudig zustimmte; und in 20 Lektionen machte ich
solche Fortschritte, dass ich mich als Kopist nützlich machen
konnte. Dann nahm ich Lektionen in Deutsch, das ich korrekt
sprechen und schreiben lernte; ich lernte dann die holländi-
sche Sprache, anschließend Französisch, Englisch, Spanisch,
Italienisch und Portugiesisch. Mittlerweile beförderte mich
Herr Schröder fast monatlich in seinem Büro, und in weni-
ger als zwei Jahren wurde ich der erste Angestellte in seinem
[Geschäfts-]Haus, erhielt Vollmacht [„full-power“] und hatte
schon 15 Angestellte unter mir. Das nasse Klima Hollands hat-
te einen günstigen Einfluss auf meine Brustkrankheit, die bald
vollständig verschwand. Im dritten Jahr meines Aufenthalts im
Kontor von Schröder & Co. erlernte ich die russische Sprache,
die ich in der Tat als schwierigste [Aus-]-Sprache von allen
empfand, um so mehr, da es in Amsterdam niemanden gab, der
ein Wort Russisch kannte. Folgerichtig studierte ich es aus Bü-
chern. Aber durch sehr lautes Lesen gewöhnte ich mich bald
an diese wunderbare Sprache, und nachdem ich sie 6 Wochen
lang studiert hatte, war ich bereits in der Lage, Geschäftsbriefe
in Russisch zu schreiben. Diese Korrespondenz erwies sich als
äußerst vorteilhaft für meine Prinzipale und war die Ursache
dafür, dass ich nach vier Jahren von den Herren Schröder &
Co. als Agent nach St. Petersburg gesandt wurde.
Zu Beginn meines Aufenthaltes in Amsterdam hatte ich sehr
harte Zeiten; meine Vergütung belief sich auf 300 Gulden (155
Silberrubel) pro Jahr (von welchen ich meine Verpflegung und
Unterkunft, als auch meine Bekleidung und Lektionen bezah-
len musste). Und so geschah es, dass ich während des ersten
Jahres kaum etwas anderes hatte außer trockenes Schwarzbrot
und Wasser. Während des ersten Jahres mietete ich einen klei-
nen möblierten Raum, für den ich 4 Gulden (2 ¼ Silberru-
bel) monatlich bezahlte, aber danach, als mein Gehalt stieg,
mietete ich einen schönen möblierten Raum zu 10 Gulden (5
½ Silberrubel), aber ich befolgte weiterhin die äußerste Wirt-
schaftlichkeit, und durch die gesamte Zeit meines Amsterda-
mer Aufenthaltes gab ich für mein Dinner nicht mehr als 20
Cents (10 Silberkopeken) aus. All meine Ersparnisse schick-
te ich meiner armen Familie in Deutschland, die ich stets seit
Ende 1842 unterstützt habe.
Ich kam das erste Mal hier in Petersburg am 30. Januar 1846
an, 7 Tage danach ging ich nach Moskau.
5
In beiden Orten
wurden meine Bemühungen mit gutem Erfolg gekrönt, so dass
ich nach wenigen Monaten in der Lage war, mich hier in St.
Petersburg auf eigene Rechnung als Großhändler zu etablie-
5
Dieser Teil des Tagebuches, gegen Ende des Absatzes, scheint in Russisch zu
einem späteren Zeitpunkt geschrieben worden zu sein. Mit dem nächsten Ab-
satz beginnt die Geschichte dieser Reise, und nach dem Verlassen von New
York nach Kalifornien scheinen die Einträge nicht von Tag zu Tag gemacht,
zumindest aber kurz nach den Ereignissen.
ren. Ich hatte seitdem immer viel Glück in meinen Unterneh-
mungen. Im Jahre 1846 war ich viermal geschäftlich in Mos-
kau. Und am 1. Oktober desselben Jahres ging ich, um mei-
ne merkantilischen Beziehungen zu erweitern, über Lübeck,
Hamburg, Bremen, Amsterdam und Rotterdam nach London,
besichtigte anschließend Liverpool, [Le] Havre, Paris, Brüssel,
Köln, Koblenz, Düsseldorf, Krefeld und kehrte über Amster-
dam, Hamburg und Berlin nach St. Petersburg zurück, wo ich
am 14. Dezember 1846 ankam. Ende des Jahres 1848 reiste ich
zum fünften Mal nach Moskau. Auf meiner Rückreise, die ich
im offenen Schlitten bei 33 bis 36 Grad unter Null unternahm,
erkältete ich mich und lag fast vier Monate auf dem Kranken-
lager. Im Juni 1849 erkrankte ich ernsthaft am Nervenfieber
und lag in einem sehr verzweifelten Zustand darnieder. Am 18.
Februar 1850 reiste ich zum sechsten Mal nach Moskau und
am 4. März bin ich von dort nach Kowno, Gumbinnen, Kö-
nigsberg und Berlin nach Amsterdam gegangen, wo ich mich
eine Woche lang aufhielt. Ich fuhr dann nach London, nach
Edinburgh in Schottland, besuchte Glasgow und fuhr anschlie-
ßend mit dem Dampfer über Greenock nach Liverpool; dann
nach Chester und Bangor, um die Britanniabrücke zu sehen;
schließlich über London, [Le] Havre, Paris, Amsterdam, Ham-
burg und Lübeck zurück nach St. Petersburg.
Zusatz zum Beitrag von Peter Voppmann: Auf meiner USA-Reise 2014 ent-
deckte ich in Santa Barbara dieses Schild (R. Witte).