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Seite 48 Informationsblatt 29 April 2018

Beiträge und Berichte

In einem Brief aus Neapel vom 3. Dezember 1875 informierte

er seinen Freund Émile-Louis Burnouf

8

über seine Ausgrabun-

gen in Mozia:

„Vergeblich erforschte ich Segesta, Tauromenium,

Syrakus, Arpinum, Capri, Populonia; da ist nirgends die kleinste

Scherbe aus prähistorischer Zeit ... und ich kann mich nicht ent-

schließen, denn es gibt keine zu lösenden Probleme und ich kann

dort nur finden, was jedes Museum schon hat. Ich glaube, ich

sollte in prähistorischen Zeiten bleiben und die Ausgrabungen in

Kleinasien fortsetzen!”

9

Durch Fiorellis Fürsprache bekam Schliemann die volle Unter-

stützung des damaligen Kultus-ministers Ruggero Bonghi, der

ihm am 19. September 1875 schrieb: „

Jedenfalls bin ich froh, dass

Sie sich entschlossen haben, sich dauernd in Italien niederzulas-

sen, wo, nicht weniger als in Griechenland, Ihr bewundernswer-

ter Fleiß ein großes Betätigungsfeld finden wird, um jener Wis-

senschaft zu dienen, der Sie bisher alle Ihre Kräfte widmeten.“

10

Fiorelli war tatsächlich diejenige italienische Persönlichkeit, mit

der Schliemann am meisten Bezug hatte. Als 1873 die ersten

Klagen wegen der illegalen Ausfuhr des sog. Schatzes des Pria-

mos in Athen eingingen, und dann später im Jahre 1874, schrieb

Schliemann an Fiorelli einige Briefe, wo er um die Ausstellung

des Schatzes im Archäologischen Nationalmuseum Neapel

bittet. Er hätte sich dann für diejenigen Ausgrabungen in Süd-

Italien und Sizilien eingesetzt, die am Erfolg versprechendsten

waren, um mögliche Hinterlassenschaften der Flüchtlinge aus

Troja ans Licht zu bringen. Im Jahre 1874 schrieb Schliemann

an Fiorelli, dass er die Ausgrabungen in Italien aus gesundheitli-

chen Gründen noch nicht anfangen könnte. Tatsächlich befand er

sich 1874/75 völlig inmitten seiner Gerichtsprobleme.

Fiorelli war sicher derjenige, der mit Bonghi über die Möglichkeit

einer „italienischen Lösung“

gesprochen hat: Schliemann war

schon weltberühmt, und dazu hätte er die Ausgrabungen aus ei-

genen Mitteln bezahlt. Dafür hätte er dann einen Teil der Funde

bekommen.

In einem Brief an Fiorelli vom 27. September 1875 schrieb

Schliemann: „

Ich kam nach Rom, um mit Ihnen und mit Minis-

ter Bonghi zu reden, wo ich graben sollte ... Wenn ich wichtige

Ausgrabungen in Italien finde, werde ich mich hier niederlassen

und meine trojanische Sammlung mitbringen, von der nicht ein-

mal ein Fragment und Stück Geschirr durch den türkischen Streit

verloren ist… Ich habe heute Morgen Minister Bonghi gesehen,

der mir empfohlen hat, mit Ihnen über Mozzia zwischen Mar-

sala und Trapani und die Nekropole von Solunto in der Nähe

von Palermo zu reden... So bin ich frei, unermesslich zu graben.

8 Burnouf, Émile (1821-1907), franz. Altphilologe und Indologe, Erforscher

der antiken Kulturen, ab 1878 Direktor der Ecole Française d’Athènes

9 Meyer 1953, Nr. 276 S. 302; Shepherd 2009-2011, S. 144 : “En vain ai-je ex-

ploré ensuite Ségeste, Tauromenium, Syracuse, Arpinum, Capri, Populonia;

il n'y a nulle part la moindre tesson des temps préhistoriques … et ne puis

pas m’y décider, car il n'y a pas des problèmes à résoudre et je ne saurais y

trouver que ce que chaque musée possède déjà. Je crois que je devrais rester

dans l'époque préhistorique et continuer les fouilles dans l'Asie Mineure!ʺ

10 GLS, Incoming Correspondence, B70, S. 342, 19: “Per altro sin da ora posso

dirmi lieto che Ella si sia deciso a fissarsi stabilmente in Italia, dove non

meno che in Grecia, la sua mirabile operosità troverà largo campo per eser-

citarsi in vantaggio di quella scienza, alla quale Ella ha ormai consacrato

tutte le sue forze.”

Aber ich möchte zunächst die Orte, die Sie angeben, sorgfältig

untersuchen und eine Reihe von Sondagen in den jungfräulichen

Boden graben.”

11

Aber es entwicklte sich anders als sich Schliemann das vorge-

stellt hatte. Er suchte eine archäologische Siedlung zeitgleich mit

Troja. Die vielen Besichtigungen und Probegrabungen an den

genannten Stätten waren für ihn enttäuschend. Sie brachten nicht

das ans Tageslicht, was er sich erhoffte, alles war jünger, also

nicht zeitgleich mit Troja. Keine Spuren von gestrandeten Tro-

janern, die hier in Italien ihre Spuren hinterlassen hatten, keine

Scherbe, die denen in Troja gefundenen glich. Unzufriedenheit

stellte sich ein.

Dazu kommt, dass er im Oktober desselben Jahres eine Kontro-

verse mit Michele Stefano de Rossi in Bezug auf die Interpretati-

on der Ausgrabungen in Marino (von Schliemann als Alba Longa

oder Albano bezeichnet) auszutragen hatte. Zu dieser Ausgra-

bung wurde er von Pigorini und Fiorelli inspiriert.

12

De Rossi

warf ihm öffentlich (aber ungerecht) vor, dass er keine Kompe-

tenz hätte, eine Stratigraphie zu beurteilen.

13

So spürt man schon

eine gewisse feindliche Atmosphäre in dem Brief, den Luigi Pi-

gorini ihm am 5. Oktober 1875 schrieb: „

Es tut mir sehr leid,

dass Sie bei Herrn Meluzzi nicht die Anerkennung fanden, die

Ihr Name und Ihre Erfolge verdiente. ... Aber Sie waren an die

Türken gewöhnt, und im Interesse der Wissenschaft werden Sie

sicher die auftretenden Probleme tolerieren. … Die Frage der

Gräber von Albano ist von großem Interesse für die italienische

prähistorische Archäologie, die ich wirklich vollständig aufge-

löst sehen möchte, und niemand anders als Sie können so viel

Liebe und so viel Erfahrung einbringen.”

14

Im Gegenzug spürt man stark die Enttäuschung Schliemanns in

Bezug auf die Resultate der Ausgrabung im Brief an Pigorini

vom 4. Oktober 1875: „

Sehr verehrter Professor, unmöglich,

dass Sie mich mit undankbarerer Arbeit als dieser hätten betrau-

en wollen, ... aber wenn ich bis morgen Abend nicht einmal eine

Schüssel finde, dann gehe ich, weil ich mich meiner Zeit schämen

würde, noch eine Nacht zu bleiben.“

15

11 Das Datum dieses Briefes fehlt im Copybook von Schliemann. Anscheinend

wurde dieser Brief im Vorzimmer des Büros von Fiorelli ans Ministerium ge-

schrieben. Das Original wurde aber von Bassi abgeschrieben, das er in Fiorel-

lis Nachlass gesehen hat: Bassi,

op. cit.

, S. 46, bes. S. 33-34; Shepherd,

op. cit.,

S. 156 mit Anm. 62: “Son venuto à Roma per discutere con lei e col ministro

Sig. Bonghi dove dovrei scavare [...] Se trovo in Italia degli scavi importanti

da fare allora mi stabilirò qui e porterò qui tutta la mia raccolta troiana, di

cui non è perduto neppure un frammento di stoviglia per la lite turca ... Ho

visto stamattina il ministro Bonghi, che mi ha raccomandato di parlare à lei di

Mozzia fra Marsala e Trapani, poi della necropole di Solunto nella vicinanza

di Palermo [...] Dunque sono libero di cominciare gli scavi immediatamente”

12 Meyer 1953, S. 248.

13 De Rossi 1875, S. 186-190.

14 GLS, Incoming Correspondence, B 70, S.350. “…Mi duole sommamente

che ella non abbia trovato nel sig. Meluzzi quella condiscendenza che il suo

nome e la sua dottrina meritavano ... Ma ella era abituata coi Turchi, e per

amore della scienza saprà certo tollerare le noie che deve avere … La que-

stione delle tombe d’Albano è per l’archeologia preistorica italiana di tanto

interesse, che sarebbe proprio a desiderare di vederla completamente risolu-

ta, e nessuno meglio di lei può portarvi tanto amore e tanta esperienza....”

15 Brief an Pigorini von Albano: GLS, Copybook BBB 35, S. 63: “Illustre Pro-

fessore, impossibile che Ella avesse potuto raccomandarme con lavoro più

ingrato che questo … ma sé sino à dopo domani sera non troverò neppure una

coccia, allora me ne vado, perché avrei vergogna di me stesso di rimanere

una sera di più....”