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Seite 24 Informationsblatt 23 Dezember 2011

Kolloquium

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Das Thema „Mykene“ auf diesem 10. Kolloquium verdient be-

sondere Aufmerksamkeit und ist von nicht geringem Interesse.

Klar ist eines: Die Berichte über die Grabungen Schliemanns in

Mykene sind noch nicht in Gänze veröffentlicht. Beide Grabungen,

die illegitime von 1874 und die legitime von 1876, die unter der

Schirmherrschaft der Athener Archäologischen Gesellschaft und

der Aufsicht des viel gelobten, vernünftigen, arbeitsbesessenen

und deshalb so früh verstorbenen Panajotis Stamatakis stand, sind

seit Carl Schuchhardt nicht als Ganzes berücksichtigt worden. Es

ist auch klar, dass die Schachtgräber des Gräberrundes A nicht als

veröffentlicht gelten dürfen, weil der umstrittene Georg Karo den

Nachlass von Stamatakis über die Schliemannsche Grabung nicht

kannte, eventuell auch nicht das Tagebuch Heinrich Schliemanns,

obwohl er es – vermittelt durch Sophia Schliemann – durchaus,

wenngleich nur vorübergehend, in der Hand gehabt haben könnte,

so wie auch Åke Åkerström.

Hinzu kommt das Pech, dass weder Frau Kilian-Dirlmeier den

Nachlass von Stamatakis und das Tagebuch Schliemanns kannte,

noch unser Freund und Kollege David A. Traill über den Nachlass

von Stamatakis genau Bescheid wusste.

Nun aber geschah das Merkwürdige: Wie allgemein bekannt,

sind die Bestattungen und die Beigaben in den Schachtgräbern

des Gräberrundes A (Schliemann) großenteils bzw. fast völlig

unberührt geblieben – im Unterschied zu beinahe allen ande-

ren Kuppel- und Kammergräbern der mykenischen Zeit (außer

Dendra, Routsi, Peristeria: 3. Kuppelgrab etc.). Es könnte aber

auch sein, dass Schliemann die Knochenreste älterer Bestattungen

oder kleinere Beigaben wie im Schachtgrab A III übersehen hat,

z. B. nicht drei, sondern vier Ohrringe. Obwohl die Schachtgräber

des Gräberrundes A von Mykene unberührt waren, kennen wir die

genaue Lage (in situ) der meisten Beigaben nicht, weil 1. sich die

vorgesehene und bereits einverstandene Zeichnerin Schliemanns,

Louise Burnouf, Tochter des Direktors der Ecole Française d’

Athènes, im letzten Moment verlobt hatte und Schliemann, anders

als in Troia, plötzlich ohne Zeichner dastand, was katastrophale

Folgen nach sich zog; und 2. kam hinzu, dass der für Aufnahmen an

den ersten Tagen der Grabung hinzu gezogene Photograph nicht für

die gesamte Grabungsdauer engagiert worden war, um die jeweils

ans Licht kommenden Funde und Monumente zu dokumentieren.

Auf diese Weise gingen wertvolle Indizien, bildliche Mitteilungen

und Informationen für die notwendigen Beschreibungen verloren.

Obwohl fast alles (mit einigen Ausnahmen in den Gräbern IV und

V) am ursprünglichen Platz aufgefunden wurde, wissen wir heute

nicht mehr genau, an welcher Stelle die Artefakte lagen, wozu sie

dienten und in welchen Fundkontext sie einzuordnen sind.

So kann oder muss die Aufgrabung der Schachtgräber des

Gräberrundes A auf der Akropolis von Mykene als die größte

Katastrophe der Mykenologie bezeichnet werden. Sie hat tatsäch-

lich als die vernichtete Hoffnung auf dokumentarische Aufnahme

der archäologischen Substanz, die Beschreibung der vorgefun-

denen Situation, der Bestattungssitten und des Totenrituals der

frühmykenischen Zeit zu gelten. Mehr noch, sie darf als der größte

Verlust der Mykenologie angesehen werden, und der Grund

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Prof. Korres (Athen), der am Kolloquium leider nicht teilnehmen konnte,

übersandte dieses Schreiben, das von Prof. Jähne überarbeitet wurde.

dafür waren die unglückseligen Umstände dieser Epoche machen-

den frühen Ausgrabung der Reliquien der Urdynasten von Mykene.

Es regnete in Strömen, als in Abwesenheit von Stamatakis, der

Schliemann nicht zu ertragen vermochte, Prof. Phintiklis, Sophia

Schliemann und Schliemann selbst mit kleinen Messern und den

Fingern arbeiteten und versuchten, nichts zu übersehen. So konnte

Schliemann, weil Stamatakis nicht vor Ort war, einige Funde in die

Tasche stecken und sie dann nach Berlin verbringen.

Ich denke nun, dass, weil im Frühjahr 1870 in Dhilessi (nördlich von

Marathon) einige ausländische Touristen und Diplomaten ermordet

wurden, die erste, in Zusammenarbeit mit dem Generalephor der

Antiquitäten, Dr. P. Eustratiadés, geplante Grabung in Mykene nicht

zustande kam. Schliemann hatte allgemein Angst vor Räubern. So

wurde das goldreiche Mykene in dieser frühen Zeit provisorisch

geborgen und gerettet. Es gibt in diesem Zusammenhang eine wei-

tere Überlegung. Schliemann hätte unter dem Eindruck seiner ers-

ten Begehung Mykenes im Jahre 1868, als er schlicht falsche Ideen

hinsichtlich der Schatzhäuser und der vorgefundenen Situation

äußerte, im Jahre 1870 wahrscheinlich irgendwie anders auf dem

Grabungsfeld agiert.

Im Frühjahr 1874 ließ er an 34 Stellen der Akropolis graben und

draußen einen Graben öffnen. Das bedeutete, dass er zu diesem

Zeitpunkt noch gar nicht wusste, was er eigentlich wollte. Ich muss

aber noch weiter gehen. In den 1950er Jahren setzte der Direktor

des Griechischen Archäologischen Dienstes die Grabungen am

Gräberrund B fort, 117 m vom Löwentor entfernt. Der britische

Ausgräber Alan J. B. Wace, der nur wenige Meter weiter seine

Grabung um das Kuppelgrab von Klytaimestra fortführte, war da-

rüber todunglücklich.

Nun geschah etwas Außergewöhnliches. Dort im Gräberrund

B war die Lage eine ganz andere. Zeichner, Photograph und

Vasenrestaurator waren ständig anwesend. Ausgebesserte Vasen

wurden sofort wieder an der ursprünglichen Stelle aufgenom-

men. Der gute Geist der Grabung war der Vorarbeiter Jannis

Karamitros, eine Seele von einem Mann, ausgesprochen klug, der

über eine unglaubliche Grabungserfahrung verfügte, erworben

bei den Amerikanern auf der Agora von Athen und bei Georgios

E. Mylonas in Eleusis auf dem westlichen Friedhof aus myke-

nischer Zeit. Er und seine Söhne arbeiteten den ganzen Tag auf

Holzplatten über den Gräbern und nachts schliefen sie alle in den

Schachtgräbern. Auf diese Weise wurde nichts verpasst! Dank sei-

ner nicht nachlassenden Achtsamkeit wurden selbst die geringsten

Knochenreste registriert, und so besitzen wir eine vorbildliche

Dokumentation der Grabung und ihres Verlaufs. Trotzdem sind

unglaubliche Grabbeigaben, Vasen, sogar Schwerter und noch

vieles andere verloren gegangen, obwohl Karamitros vorbildlich

gearbeitet hat. Folgendes geschah: Als der Direktor der Grabung

am Wochenende nach Athen/Attika zurückkehrte, fuhr der LKW

mit den Funden in verschiedene Depots in Attika und Athen und

verstreute die wertvollen Artefakte ohne kontrollierende Protokolle

über verschiedene Orte. Da viele von ihnen nicht wieder lokalisiert

und identifiziert werden konnten, blieb die Veröffentlichung über

die Grabung (1972) ohne die vielen verschollenen Beigaben un-

vollständig.

Prof. Dr. G. St. Korres,

Athen

Kommentar zu Schliemanns mykenischen Grabungen

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