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Informationsblatt 23 Dezember 2011
30. Geburtstag des HSM
Kontakte zu Nachkommen der Schliemanns in Deutschland.
Große Verdienste um die Entwicklung des Museums erwarb
sich Jost Reinhold, sein steter Förderer, dem wir, die Freunde
des Museums, zahlreiche Neuerwerbungen und finanzielle
Unterstützung in prekären Situationen verdanken. Dafür ge-
bührt ihm unsere höchste Anerkennung.
Schritt für Schritt, mal waren es längere, mal kürzere, ging
es mit dem Museum voran. Seine Bedeutung wuchs und sein
Ruf als Ort der Würdigung des Troia-Ausgräbers Schliemann
weckte das Interesse in- und ausländischer Massenmedien:
das DDR-Fernsehen (1981 und 1986 – Dreharbeiten mit
Katja Ebstein), die Post mit zwei Sonderbriefmarken (1990),
das italienische Fernsehen RAI mit Aufnahmen für einen
Dokumentarfilm (1989 und 2008), wiederholt Dreharbeiten
des NDR (1997 und 2003), Dreharbeiten des japanischen
Fernsehens (2000 und 2003), des türkischen Fernsehens
(2003), des MDR (2005) und von Spiegel-TV (2007).
Im Frühjahr 2003 erfolgte die Stafettenübergabe. Der nun
Pensionär Bölke legte das Museumsruder in die Hände seines
Nachfolgers Reinhard Witte. Der Mykenologe hatte mehrere
Jahre am Zentralinstitut für Alte Geschichte und Archäologie
der Akademie der Wissenschaften gearbeitet und sich dort
erste wissenschaftliche Sporen verdient. Er übernahm eine
gut funktionierende Einrichtung, konnte auf dem Fundus
des Erreichten aufbauen und Neues hinzufügen. Erweitert
wurde, dank des Engagements von Undine Haase, die mu-
seumspädagogische Arbeit. Sie umfasst jährlich zahlreiche
Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche, ebenso die
Betreuung von Schüler- und Projektgruppen aus der Region
oder –wie 2006 – die Teilnahme amKinderkirchentag inWaren
(Müritz). Als geglückt ist die Umgestaltung des so genannten
Kinderzimmers in einen „Erlebnisbereich für Kinder und
Jugendliche von heute“ zu bezeichnen. Begonnen wurde –
ein schöner Beweis für die Außenwirksamkeit des Museums
– die kontinuierliche Zusammenarbeit mit dem Gymnasium
„Neues Carolinum“ in Neustrelitz. Erste Kontakte für eine
derartige Zusammenarbeit mit dem Gotthold-Ephraim-
Lessing-Gymnasium in Kamenz sind ebenfalls geknüpft
worden. Viel Kraft wendete Witte für die Auffrischung und
Erweiterung der Webseite, einschließlich der Digitalisierung
des Bilderarchivs des Museums auf. Eine besondere, höch-
ste Achtung abfordernde wissenschaftliche Leistung sind
seine Sonntagsvorträge, die sich an ein breites Publikum
aus der Region wenden und sich in steter Regelmäßigkeit
der Zahl Hundert nähern. Leider wird Wittes physische und
psychische Kraft durch den ständigen, auch erniedrigenden
Kampf um den Erhalt des Museums, dieses einzigartigen
Erinnerungsortes, um Finanzmittel und ähnliche Dinge über
Gebühr beansprucht.
Eine Sternstunde für das Museum, seine aufopferungsvol-
len Mitarbeiter und die Schliemann-Gesellschaft war im
September 2001 die Eintragung in das so genannte Blaubuch
der neuen Bundesländer als „Kultureller Gedächtnisort“
von nationaler Bedeutung und internationaler Ausstrahlung.
Dieses „Blaubuch“ listet von etwa 1400 Museen in den
neuen Bundesländern 40 Einrichtungen als besonders förde-
rungswürdig auf;
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ich wiederhole, um diesen Gedanken ex-
tra zu unterstreichen: das Heinrich-Schliemann- Museum gilt
seither als besonders förderungswürdig. Die Eintragung ins
„Blaubuch“ und die damit einhergehende Feststellung seiner
besonderen Förderungswürdigkeit kamen der Verleihung
eines kulturellen Adelsbriefes gleich. Sie wurden nicht von
irgendwem auf der Straße vorgenommen, sondern gescha-
hen auf Veranlassung der Bundesregierung, also der großen
Politik, durch eine von Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Paul Raabe,
dem Bundesbeauftragten für Kultur und Medien, geleitete
Kommission. Umso erstaunter ist man heute, ja man ist glei-
chsam frustriert, wenn, entgegen der Begründung für den
„Blaubuch“-Eintrag, „das Schliemann-Museum habe sich zu
einem ‚Zentrum der Schliemann-Forschung’ und zu einer
Begegnungsstätte für Schliemannfreunde aus aller Welt ent-
wickelt“, dem Leiter des Museums untersagt wird, weiterhin
vom Museum als einem Zentrum der Schliemannforschung
zu sprechen. Welche politische Hybris, welch eine politische
Arroganz spricht aus diesem Verbot! Heißt dies etwa, dass
nicht sein kann, was nicht sein darf! Irgendwie, man nehme
es mir nicht übel, fühlt man sich an die momentanen Querelen
um die Verleihung des Friedensnobelpreises 2010 erinnert.
Die bloße Negation der Fakten schafft diese Fakten nicht aus
der Welt.
Das Heinrich-Schliemann-Museum ist anderen Museen
nicht einfach gleichzusetzen. Gemeinhin entstehen Museen
aus schon vorhandenen Sammlungen. Sie offerieren diese
Sammlungen der Öffentlichkeit, pflegen sie und bearbeiten sie
wissenschaftlich. Das hiesige Museum hat, im Unterschied zu
ihnen, eine etwas andere Geschichte. Es ist ein Museum sui
generis, von ganz eigener Art. Am Anfang standen ein schon
baufälliges Pfarrhaus, eine der Restaurierung bedürftige
Kirche und ein gusseisernes Grabkreuz. Zu diesen drei autoch-
thonen Objekten, die sinngemäß und in ihrer Ursprünglichkeit
eine Einheit bilden, gehörte eine Persönlichkeit von Weltrang –
Heinrich Schliemann. Sein Vater war eine Zeit lang Pfarrer in
Ankershagen, seine Mutter wurde auf dem hiesigen Friedhof
begraben, er verlebte Jahre der Kindheit im Pfarrhaus, stro-
merte mit seinesgleichen über die Feldfluren und nahm in
seine Kinderseele Märchen, Sagen und Überlieferungen der
heimatlichen Umgebung auf. Der – ein Riesenglück – er-
haltene altertümliche materielle Bestand musste als die eine
Komponente mit der anderen, der immateriellen Komponente,
jenem immateriellen Wert der sozialen und geistigen
Entwicklung des Pfarrersohns hin zu einer weltberühmten
Persönlichkeit und zu einem großen Wissenschaftler, musste
mit dessen sozialem Credo „ich komme von unten und will
mit aller Energie nach oben“ wieder zusammengebracht
werden. Mehr war, seien wir ehrlich, Ende der 1970er Jahre
nicht da, als sich die oben genannten Enthusiasten ans Werk
machten, das Erbe Heinrich Schliemanns in Ankershagen
öffentlichkeitswirksam darzustellen, es zu retten, zu be-
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Über 20 dieser besonderen Gedächtnisorte, darunter auch das Heinrich-
Schliemann-Museum, wird berichtet in: Leuchtfeuer. Kulturelle
Gedächtnisorte. Brandenburg/Mecklenburg-Vorpommern/ Sachsen/
Sachsen Anhalt/ Thüringen, Leipzig 2009, Heinrich-Schliemann-
Museum: S. 146-154 (der Band wurde vom Bundesbeauftragten für
Kultur und Medien herausgegeben).