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Seite 19

Informationsblatt 23 Dezember 2011

Kolloquium

Die folgenden Abstracts wurden zumeist von den jeweili-

gen Referentinnen und Referenten geschrieben. Die voll-

ständigen Beiträge sind in den „Mitteilungen aus dem

Heinrich-Schliemann-Museum“ (Heft 9, Ankershagen

2011) nachzulesen.

Prof. Dr. Dieter Hertel (Köln)

Über die sog. Gründung des frühen

griechischen Troia und die Histori-

zität der Troia-Sage

Entgegen der These Blegens, es habe

zwischen dem Ende von Troia VII b

2 (1100 v. Chr.) und dem Beginn von

Troia VIII (700 v. Chr.) eine vierhun-

tertjährige Siedlungslücke gegeben, und der Behauptung

Korfmanns, es habe ein nichtgriechisches Troia VII b 3

(1020–950 v. Chr.) existiert und Hisarlık sei von 950–700

v. Chr. kaum bewohnt gewesen, machen eine Zusammen-

stellung und Auswertung unvollständig vorgelegter und

fehlinterpretierter Funde/Befunde der älteren und jünge-

ren Grabungen deutlich, dass es zwischen VII b 2 und VIII

eine Siedlungskontinuität gab, und nach dem Ende von VII

b 2, rund um 1000 v. Chr., ein Einsickerungsprozess von

Griechen einsetzte, so dass auf Hisarlık spätestens um 900

v. Chr. bzw. im 9. Jh. v. Chr. eine weitgehend von Grie-

chen dominierte Siedlung bestand. Dieser Sachverhalt ist

der seit 1000 v. Chr. auftretenden griechischen Importke-

ramik, dann weiteren auf Hisarlık angefertigten griechi-

schen Keramikgattungen (eine, die G 2/3-Ware, wurde dort

sogar erfunden), der Existenz griechischer Mauertechnik

und griechischer Hausformen sowie mehrerer griechischer

Kultanlagen, darunter das Heiligtum der Athena Ilias, zu

entnehmen. Dazu passt, dass in Homers um 700 v. Chr.

geschaffenem Epos Ilias ganz beiläufig eine größere Zahl

griechischer Toponyme und griechischer Kulte in Ilion und

der Troas erwähnt wird, woraus geschlossen werden kann,

dass Griechen schon seit längerem, wenn nicht sogar seit

langer Zeit, dort gesessen haben. Verschiedenen Indizien

zufolge müssen die Neusiedler aus Ostmittelgriechenland

gekommen sein. Da die Ilias und die anderen mit Troia ver-

bundenen Epen durch und durch griechisch geprägt sind,

kann nur die Gründung von Troia VIII, von Ilios/Ilion, die

Voraussetzung zu Entstehung und Ausbildung der Troia-

Sage gebildet haben, wobei ein historischer Kern, sofern

überhaupt vorhanden, sehr gering gewesen wäre. Eine spät-

bronzezeitliche, hethitisch-luwische Herkunft der Sage ist

auszuschließen.

Prof. Dr. Armin Jähne (Bernau)

Der Beste sein - Das agonale Prinzip

in Homers „Ilias“ zwischen Spiel und

Wirklichkeit

Jakob Burckhardt schreibt im 4. Band

seiner „Griechischen Kulturgeschichte“

im Kapitel 2 „Der koloniale und agonale

Mensch“: „Und nun das Agonale. Wäh-

rend die Polis einerseits das Individu-

um mit Gewalt emportreibt und entwickelt, kommt es (das

Agonale – A. J.) als eine zweite Triebkraft, die kein anderes

Volk kennt, ebenso mächtig hinzu, und der Agon ist das all-

gemeine Gährungselement, welches jegliches Wollen und

Können, sobald die nötige Freiheit da ist, in Fermentation

bringt. In dieser Beziehung stehen die Griechen einzig da“.

Der Begriff des Agons ist in sich differenziert. Mit ihm

kann der Fest- oder Kampfplatz ebenso bezeichnet werden

wie der sportliche und musische Wettkampf, das Wagen-

rennen, der Wettkampf oder das Kampfspiel per se, aber

auch der Redekampf vor Gericht („Agon“ als „der stehende

terminus technicus für ‚Prozeß’“), der politische Partei-

enkampf oder der Krieg als militärischer Agon. Mit Agon

können des Weiteren allgemein die Anstrengung, eifrigstes

Bemühen oder soziales Durchsetzungsvermögen, die so-

ziale Selbstbehauptung gemeint sein. Das Agonale findet

sich in starkem Maße auch bei Homer, insbesondere in der

„Ilias“, bezogen auf den Troianischen Krieg als Ganzes und

als die Darstellung eines gewaltigen militärischen Gruppe-

nagons, aber auch im agonalen Gegeneinander einzelner

Kämpfer in den Heeren der Achäer und Troianer. Beispiele

dafür sind die Leichenspiele zu Ehren des Patroklos und

als agonaler Gipfelpunkt die Auseinandersetzung zwischen

Achill und Hektor. Eigentlich bilden der „Zorn des Achill“

(gegen Agamemnon) und die Achill-Hektor-Kontroverse

das zentrale Anliegen der „Ilias“ (schon so von Ulrich von

Wilamowitz-Moellendorf) und weniger der Troianische

Krieg, der Homer lediglich hilft, die fiktive Verortung

des Geschehens vorzunehmen. Insofern könnte das Epos

auch „Achilleis“ heißen (ebenfalls Wilamowitz und ande-

re nach ihm). Der Dichter schildert also nicht den Troia-

nischen Krieg in seiner Konkretheit, sondern den Krieg

schlechthin, den Krieg, wie er ihn als Zeitgenosse mit all

seinen Gräueln und Widerwärtigkeiten gekannt hat. Ein

Wettkampf, wie jedes Spiel mit zwei und mehr Personen,

ist, soll das Spiel funktionieren, an ein vereinbartes und

einzuhaltendes Regelwerk gebunden. Das Regelwerk allein

bliebe wirkungslos, wenn nicht seitens der Wettkampfteil-

nehmer – als einer weiteren Voraussetzung – die geforderte

notwendige Fairness aufgebracht würde, die wiederum in

der moralischen Integrität und auch im ethischen Bewusst-

sein der Teilnehmer wurzelte, das entsprechend entwickelt

10. Wissenschaftliches Kolloquium

„Die Schliemannkontroverse aus der Distanz der Jahre“

und: „Der ewige Streit um das homerische Troia“

vom 9. bis 10. September 2011 in der Europäischen Akademie M.-V. in Waren (Müritz)

Dieter Hertel

Armin Jähne