Background Image
Previous Page  22 / 72 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 22 / 72 Next Page
Page Background

Seite 22 Informationsblatt 23 Dezember 2011

Kolloquium

wurde bis zum Zweiten Weltkrieg Schliemanns Verdiens-

ten entweder keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt,

oder es wurde vor allem Dörpfelds Werk als vorbildlich

empfunden. Anders fiel die Bewertung von Schliemanns

Verdiensten nach dem 2. Weltkrieg aus, wobei vor allem

die sehr positive Sichtweise Chr. Podzuweits genannt wer-

den muss. Unter den durchgesehenen Schriften deutscher

ArchäologInnen erwiesen sich die der Trojaforscher und

der Ausgräber von Tiryns vor dem 2. Weltkrieg als die kri-

tischsten, wohingegen von Seiten griechischer und anglo-

amerikanischer Forscher neutrale bis tendenziell positive

Einschätzungen zu lesen sind. Die Schliemann-Kontrover-

se spielte in der archäologischen Literatur keine besondere

Rolle.

Dr. Michaela Zavadil (Wien)

Major Bernhard Steffen als Mitstrei-

ter Schliemanns im trojanischen Fe-

derkrieg

Im Zusammenhang mit den Vorbe-

reitungen zur Ersten Troiakonferenz

im Herbst 1889 wandte sich Heinrich

Schliemann auch an den preußischen

Major Bernhard Steffen (geb. am 18. Februar 1844 in Cam-

min; jetzt: Kamień Pomorski) und lud ihn ein, an der Kon-

ferenz teilzunehmen. Steffen hatte sich in archäologischen

Kreisen durch die kartographische Aufnahme des Hymet-

tos (Attika) im Winter 1877/78 und Mykenes (Argolis) im

Winter 1881/82 einen Namen gemacht. Er und Schliemann

kannten einander vermutlich seit einem von Steffens Auf-

enthalten in Griechenland. Da Schliemann plante, als Teil-

nehmer an der Ersten Troiakonferenz Gelehrte einzuladen,

die von verschiedenen Akademien der Wissenschaften ent-

sandt werden sollten, fragte er für Steffen bei der Berliner

Akademie an. Nach etlichen Schwierigkeiten unterstützte

die Akademie Steffens Urlaubsansuchen bei seinem Re-

giment, und er fuhr in Begleitung seiner Frau Ottilie und

ihrer Halbgeschwister Hattie und Richard Schricker nach

Troia. Während der Konferenz, die vom 1. bis zum 6. De-

zember 1889 dauerte, führte Steffen das Protokoll, das im

Frühjahr 1890 von George Niemann redaktionell bearbeitet

bei Brockhaus in Leipzig in einer Auflage von 125 Stück

erschien. Im Anschluss an die Tagung reiste Steffen in Be-

gleitung seiner Familie nach Ägypten und stattete danach

Schliemann in Athen einen einwöchigen Besuch ab, dessen

Verlauf durch Briefe Steffens und seiner Frau gut dokumen-

tiert ist. Seine geplante Zusammenarbeit mit Schliemann –

eine Planaufnahme der Troas – wurde durch das Ableben

Schliemanns am 26. Dezember 1890 und den frühen Tod

Steffens am 15. Dezember 1891 in Konstantinopel (jetzt:

İstanbul) zunichte gemacht.

Hans Albert Kruse (Neubukow)

Informationen zur legendären „Mit-

ternachtslesung“ von William Calder

III am 5./6. Januar 1972 in Neubukow

Am 05./06. Januar 1972 weilte der ame-

rikanische Philologe Prof. Dr. William

Calder III im Geburtsort des Kaufman-

nes und Archäologen Heinrich Schlie-

mann. In seiner Begleitung befand sich

Prof. Dr. Wolfgang Schindler, Humboldt-Universität Ber-

lin.

Der Gast aus den USA hatte sich auf einen Vortrag aus

Anlass der 150. Wiederkehr des Geburtstages von Hein-

rich Schliemann vorbereitet. Die politischen Umstände

jener Zeit ließen einen öffentlichen Auftritt jedoch nicht

zu. So kam es am Rande des offiziellen Veranstaltungs-

programmes lediglich zu einem Vortrag im privaten Kreis

im Pfarrhaus von Neubukow. In seinem Referat setzte sich

W. M. Calder III äußerst kritisch mit Heinrich Schliemann,

dessen Irrtümern, offensichtlichen Fehlern und falschen

Darstellungen in der Selbstbiographie und bei der Auswer-

tung seiner archäologischen Forschungen auseinander. In

der Literatur fand diese spätabendliche – inzwischen zum

Mythos gewordene – Begegnung als „Mitternachtslesung“

Eingang.

Der Referent versucht mit seiner Recherche, Licht in das

Dunkel der damaligen Veranstaltung zu bringen.

Wout Arentzen (Utrecht)

Und was war mit Minna im Jahre

1846?

Am Ende seines ersten russischen Jah-

res machte Schliemann eine Reise nach

Westeuropa. Auf dieser Reise verbin-

det Schliemann seine Besuche bei Ge-

schäftspartnern mit Besichtigungen

vieler Sehenswürdigkeiten, die ihm unterwegs begegneten.

Er schreibt während dieser Reise ein Tagebuch, um seinen

russischen Freunden nach seiner Rückkehr nach St. Peters-

burg über diese Reise berichten zu können. In diesem Jour-

nal betont er immer wieder, wie gut Russland, wie gern er

eine Russe ist. Obwohl Schliemann später in seiner Selbst-

biographie behauptet, dass er seit seiner Kindheit an Troja

interessiert war, können wir von dieser Faszination nichts

im Tagebuch finden. Während seines Besuchs im British

Museum ist er nicht besonders beeindruckt von den grie-

chischen und römischen Vasen und Statuen. Er übersah,

dass mehrere Stücke auf die Geschichte von Troja verwie-

sen. Was nun seine Jugendliebe Minna Meincke angeht,

zeigt dieses Tagebuch auf ein Neues, dass wir Schliemanns

Selbstbiographie nicht trauen können. 1846 dachte er kei-

nen Moment an seine ewige Liebe. Rückblickend müssen

wir also sagen, dass wir seit den großen Diskussionen der

90er Jahre nicht wirklich weiter gekommen sind im Verste-

hen von Schliemanns Selbstbiographie.

Michaela Zavadil

Hans Albert Kruse

Wout Arentzen