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Informationsblatt 23 Dezember 2011
Kolloquium
Dr. Stefanie Kennell (Athen)
Schliemann und Frankreich
Trotz Schliemanns Beherrschung der
französischen Sprache, seines Aufent-
haltes in Paris und seiner vielen auf
Französisch veröffentlichten Bücher ist
bisher sehr wenig über seine Beziehun-
gen zu Frankreich geschrieben worden.
Diese Tatsache ist ziemlich bemerkenswert, weil das Land
und die Sprache von entscheidender Bedeutung für seine
geistige Entwicklung waren. Auf Französisch gibt es von
Olivier Masson nur einen Artikel zu diesem Thema, der
sich auf Schliemanns veröffentlichte Texte stützt, d. h. sei-
ne eigenen autobiographischen Bemerkungen und die von
Ernst Meyer gekürzte Auswahl der Briefsammlung. Mey-
ers zweibändiger Briefwechsel enthält nur neun in Frank-
reich ansässige Briefpartner (von insgesamt 117), von de-
nen einer Schliemanns Halbbruder Ernst ist. Bereits vor
1866, als Schliemann nach Frankreich gezogen war, beträgt
die tatsächliche Anzahl von Pariser Briefpartnern mehr als
20, während es insgesamt fast 1000 in Paris geschriebene
Briefe bis zum Jahre 1871 gibt.
Seit dem Jahre 2000 arbeitet die Amerikanische Schule zu
Athen daran, die Zugänglichkeit zu dem „Heinrich Schlie-
mann and Family Papers”-Archiv in der Gennadius Library
zu verbessern. Die Arbeiten an der Datenbank von Schlie-
manns Briefwechsel kommen gut voran, auch die digita-
le Bildbearbeitung seiner vielen Tage- und Kopierbücher.
Damit wird die zukünftige Auswertung des Schliemann-
Nachlasses wesentlich erleichtert. Es ist also höchste Zeit,
Schliemanns vielfältiges Engagement in Frankreich zu er-
forschen, ausgehend von seinem Interesse für das Franzö-
sische. Die Referentin gibt in ihrem Beitrag dazu eine erste
Übersicht.
Dr. Wilfried Bölke
(Schliemanngemeinde Ankershagen)
Schliemanns Briefwechsel mit dem
Vater und seinen Geschwistern –
Stand der Auswertung und erste Er-
gebnisse
Der Autor wertet derzeit erstmals die
Briefe aus, die Heinrich Schliemann
mit seinem Vater und seinen Geschwistern gewechselt hat.
Die Originale werden in der Gennadius Library in Athen
und im Archiv des Heinrich-Schliemann-Museums in An-
kershagen aufbewahrt. Er informiert über erste Ergebnisse
seiner umfangreichen Recherchen, die Schliemanns frühe
Lebensperiode als Kaufmann in Russland betreffen.
Heinrich Schliemann und seine Geschwister wuchsen in ei-
ner zerrütteten Familiensituation auf. An den Auswirkun-
gen mussten nach dem frühen Tod der Mutter besonders
die Kinder leiden. Die Älteren wurden vom Vater aus dem
Haus entfernt und getrennt voneinander zu Verwandten ge-
schickt. In dem nun bekannt gewordenen Inhalt der Briefe
gibt es vielfache Hinweise und Reflexionen auf die trauma-
tischen Geschehnisse während ihrer Kindheit in Ankersha-
gen. Es wird mehr als deutlich, welch ein erheblich gestör-
tes Verhältnis Heinrich Schliemann und seine Geschwister
zu ihrem Vater hatten.
Den Geschwistern gegenüber erwies sich Schliemann als
ein treu sorgender, wenn auch autoritär auftretender Bru-
der, der die Rolle des amtierenden Familienoberhauptes
übernommen hatte. Seine jüngeren Brüder Ludwig und
Paul hat er, wenn auch auf diktatorische Art, in ihrer be-
ruflichen Entwicklung zu unterstützen versucht. Sie entzo-
gen sich aber durch Auswanderung bzw. Freitod schon früh
dem Einfluss des Vaters und ihres Bruders Heinrich. Zu
seinen Schwestern Elise, Dorothea, Wilhelmine und Lui-
se hatte Heinrich Schliemann ein enges Verhältnis. Durch
regelmäßige Geldüberweisungen sorgte er für deren gesi-
chertes Dasein. Sie vergötterten ihn geradezu und waren
ihm für seine finanzielle Fürsorge zutiefst dankbar.
Rainer Hilse
(Schliemanngemeinde Ankershagen)
Zur Entstehung des Heinrich-Schlie-
mann-Museums, seines Förderver-
eins und dessen Wirken (20 Jahre
Unterstützung des Museums und der
Schliemann-Forschung)
Es ist kein leichtes Unterfangen, in gebo-
tener Kürze über einen Zeitraum von 20 Jahren zu berich-
ten. Allerdings wurden die Voraussetzungen des Bestehens
unserer Gesellschaft vor mehr als 30 Jahren geschaffen.
20 Jahre Bestehen der Heinrich-Schliemann-Gesellschaft,
das ist eine runde Jahreszahl, wenn auch noch kein kleines
Jubiläum im traditionellen Sinne, damit hat es noch 5 Jah-
re Zeit. Dennoch möchte der Referent das 10. Kolloquium
zum Anlass nehmen, Rückschau über 30 Jahre zu halten,
ohne Selbstbeweihräucherung, aber im Bewusstsein, dass
durch viel ehrenamtliches Engagement, Zeiteinsatz und
Beharrlichkeit Bleibendes geschaffen wurde, sowohl im
materiellen als auch im ideellen Sinne. An dieser erfolg-
reichen Arbeit über zwei Jahrzehnte haben die Mitglieder
der Heinrich-Schliemann-Gesellschaft (HSG) entscheiden-
den Anteil. Der Autor gliederte dann seinen Beitrag in drei
Punkte: 1. Von der Gründung der Schliemann-Gedenkstät-
te zur Gründung der Schliemann-Gesellschaft; 2. Förde-
rung des Heinrich-Schliemann-Museums und Höhepunkte
des Vereinslebens; 3. Der Beitrag der HSG an der Schlie-
mann-Forschung.
Stefanie Kennell
Wilfried Bölke
Rainer Hilse