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Informationsblatt 23 Dezember 2011
30. Geburtstag des HSM
Unlängst hatte unser Nachbar Ernst R. zu einer kleinen
Adventsfeier eingeladen. Auch zwei jüngere Ehepaare waren
anwesend. Zu meinem Erstaunen sagte eine der beiden Frauen,
ihr Mann habe ihr den „Traum von Troja“ geschenkt und sie
habe weitere Literatur über Schliemann und Troia gelesen.
Eine Türkeireise war der Anlass, und sie wollte gut gerüstet
die weltbekannte Ausgrabungsstätte besuchen. Die Exkursion
dorthin fiel buchstäblich ins Wasser, denn der Himmel
hatte sich geöffnet und es regnete ununterbrochen. Einen
Monat zuvor hatte mich ein Literaturklub nach Klausdorf
im Landkreis Teltow/Fläming zu einem Diskussionsabend
eingeladen. Wieder ging es um Heinrich Alexander Stolls
Roman „Der Traum von Troja“ und zugleich um das Schicksal
seines Verfassers.
1
Mir fiel die Rolle des Gesprächspartners
zu Person und Werk Schliemanns zu. Im September fand in
Kamenz, u. a. gefördert von GAZPROM Deutschland, der
Landesausscheid des 3. Bundescup 2010 „Spielend Russisch
lernen“ statt. Zum Begleitprogramm gehörte ein Vortrag über
„Heinrich Schliemann in Russland“, gehalten für Schüler des
Lessing-Gymnasiums. Auch Reinhard Witte war als Leiter
des Heinrich-Schliemann-Museums Ankershagen eingeladen
worden, musste aber leider absagen.
Das sich hier dokumentierende, weit gespannte Interesse an
Schliemann, ob über Stolls Roman oder einzelne Ergebnisse
wissenschaftshistorischer Forschung, erklärt sich zum einen
durch mediale Vermittlung, sei es durch Spielfilme über den
Troianischen Krieg oder durch Dokumentationen über den
Ausgräber Schliemann oder das Schicksal des Schatzfundes
A, des so genannten Schatzes des Priamos, zum anderen durch
Bücher über Troia, wie sie Birgit Brandau geschrieben hat,
2
durch die Reihe „Die Erben Schliemanns“ (auch imFernsehen),
die neueren Biographien über „Heinrich Schliemanns Weg
nach Troia“ von Manfred Flügge bzw. über „Schliemann
und Sophia“ von Danae Coulmas
3
oder Darstellungen, die
Schliemanns Bindungen an Mecklenburg zum Inhalt haben
wie Wilfried Bölkes „Heinrich Schliemann. Ein berühm-
ter Mecklenburger“.
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Über der Wirkung solcher mehr oder
minder populären Darstellungen in visueller oder schriftlicher
Form wird allzu gern vergessen, dass es schließlich noch zwei
deutsche Museen und die rührige Schliemann-Gesellschaft
gibt, die sich dem sehr komplexen Phänomen Schliemann
verschrieben haben. Gemeint sind die Heinrich-Schliemann-
1
H. A. Stoll, Der Traum von Troja, Leipzig 1956 (Neuauflage mit einem
Nachwort von Reinhard Witte, Rostock 2002); über Stoll selbst siehe E.
Engel, Ein Mecklenburger, der über Troja schrieb, in: MAZ, 3.Dezember
2010, S. 17.
2
B. Brandau, Troia. Eine Stadt und ihr Mythos, Bergisch Gladbach 1997;
dies., H. Schickert, P. Jablonka, Troia. Wie es wirklich aussah, München/
Zürich 2004.
3
M. Flügge, Heinrich Schliemanns Weg nach Troia, München 2001; D.
Coulmas, Schliemann und Sophia, München/Zürich 2001.
4
W. Bölke, Heinrich Schliemann. Ein berühmter Mecklenburger, Schwerin
1996.
Gedenkstätte in Neubukow, wo der Troia-Ausgräber ge-
boren wurde, und das Heinrich-Schliemann-Museum hier in
Ankershagen, von dem nun die Rede sein soll.
ImKonzert vonFilm,Dokumentation,VortragundAusstellung,
erinnert sei nur an die großartige, vom Institut für Ur- und
Frühgeschichte und Archäologie der Universität Tübingen
organisierte Ausstellung „Troia. Traum und Wirklichkeit“
in den Städten Stuttgart, Braunschweig und Bonn,
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aus die-
sem Zusammenspiel verschiedenster Instrumente ist das
Ankershagener Museum, unterstützt von der Heinrich-
Schliemann-Gesellschaft, deutlich herauszuhören. Seine
Stimme in den „Variationen zum Thema Schliemann“ wird in
Deutschland ebenso vernommen wie in Mecklenburg. Sie er-
reicht von hier u. a. Griechenland, Russland, Österreich, Kuba,
Kanada, Argentinien, die Niederlande und die USA.
Am 19. Dezember 1980, anlässlich des 90. Todestages von
Heinrich Schliemann, wurde nach mehrjährigen Vorarbeiten,
im Pfarrhaus von Ankershagen, seinem zeitweiligen
Elternhaus, feierlich eine Schliemann-Gedenkstätte eröff-
net. Sie war die Vorstufe des heutigen Schliemann-Museums
und ein wichtiger Schritt zur Würdigung der Person und des
Werkes eines Mannes, der Entscheidendes zur Entwicklung
der Archäologie zur Wissenschaft und zum Ruhme seines
Vaterlandes beigetragen hat, und damit ist nicht nur
Mecklenburg gemeint. An der Wiege „Gedenkstätte“ stan-
den – ganz ohne Zweifel – Enthusiasten, Männer, die freiwil-
lig zum Zeit und Kraft beanspruchenden Berufsleben eine
weitere Belastung auf sich nahmen. Genannt seien hier die
Agrarwissenschaftler Wilfried Bölke und Gerhard Pohlan,
der Historiker Eberhard Wilzki und der Lehrer Rainer Hilse.
Ihnen zur Seite stand eine Reihe von Helfern, die dem begon-
nenen Werk technisch-organisatorischen Rückhalt boten, wie
der Invalide und Rentner Fritz Bleiß oder Rita Günther als
Sekretärin.
Die Zeitumstände für die Einrichtung einer Schliemann-
Gedenkstätte waren günstig, hatten doch die in der DDR
politisch Verantwortlichen 1977 eine „Erberezeption“ be-
schlossen, die einen freieren, unverkrampften Umgang mit
dem deutschen, für die DDR relevanten kulturellen Erbe er-
möglichte, einschließlich der Anerkennung von Leben und
Leistung historischer Persönlichkeiten. Aber es gab auch
Schwierigkeiten, die durchaus ernst zu nehmen waren und
erst einmal überwunden werden mussten. Die damaligen
Parteioberen auf Kreis- und Bezirksebene waren angesichts
der neu zu schaffenden Gedenkstädte nicht eben glücklich.
„Wir brauchen keinen Ort der Würdigung für einen prof-
itgierigen Kapitalisten“, hieß es. Das war schweres ideolo-
gisches Geschütz. Um es auszuschalten, wurde Prof. Joachim
5
Katalog: Troia. Traum und Wirklichkeit, Stuttgart 2001.
Dreißig Jahre Heinrich-Schliemann-Museum – dreißig Jahre Zentralort der
Schliemann-Forschung
Festvortrag von Prof. Dr. Armin Jähne, gehalten am 17. Dezember 2010