Seite 20 Informationsblatt 23 Dezember 2011
Kolloquium
sein musste. Es war letztlich dieser verhältnismäßig breite
Grundkonsens, bestehend aus prozeduralen Regeln und ih-
rer Akzeptanz, aus Unterordnung und ethisch-moralischer
Reife, der einen Agon erst möglich machte.
Der Agon war mehr als nur ein sportlicher, musischer, hip-
pischer, politischer oder sonstiger Wettkampf. Er besaß da-
rüber hinaus eine gesellschaftlich-soziale Dimension mit
einer in diesem Sinne statuskonstituierenden, normativen
und identitätstiftenden Kraft.
Prof. Dr. Frank Kolb (Tübingen)
Schliemanns bronzezeitliche Hisarlık-
Siedlungen: Ihre Bedeutung im Kon-
text heute bekannter bronzezeitlicher
Siedlungen im westlichen Kleinasien
Schliemanns Grabungen auf dem Hügel
Hisarlık legten erstmals bronzezeitliche
Siedlungen der östlichen Mittelmeer-
welt frei. Der mit ihnen verbundene Mythos Troia und ei-
nige imposante Schatzfunde sowie Mauerreste verleihen
insbesondere Troia II und Troia VI bis heute ein Prestige,
welches das Wunschbild einer glanzvollen Stadt stützt, wie
sie in Homers Ilias geschildert wird.
Mittlerweile sind jedoch nicht nur wesentlich bedeutendere
Siedlungen im zentralen und östlichen Anatolien sowie im
Vorderen Orient, sondern auch im westlichen Kleinasien
erforscht worden, die hinsichtlich Ausdehnung und Archi-
tektur zum Teil gleichrangig mit Troia II und VI, zum Teil
gar wesentlich bedeutender sind. Zu Letztgenannten zählen
u. a. Beycesultan im Oberen Mäandergebiet, Liman Tepe
bei Izmir, Kaymakçı im Hermos-Tal, offensichtlich auch
Pergamon. Weitere Orte versprechen bei näherer Erkun-
dung ein ähnliches Ergebnis, das folgendermaßen lautet:
Die bronzezeitlichen Siedlungen auf dem Hügel Hisarlık,
deren Ortsnamen uns nicht bekannt sind, waren jedenfalls
hinsichtlich ihrer Größe und wohl auch ihrer politischen
Bedeutung selbst im westlichen Kleinasien jener Zeit bes-
tenfalls zweitklassig, auf den gesamten östlichen Mittel-
meerraum gesehen viertklassig.
Sybille Galka (Sponholz
)
Der Athena-Tempel von Ilion
Anfang der siebziger Jahre des 19. Jhs.
begann Heinrich Schliemann auf dem
Hügel Hissarlik zu graben. Dabei schnitt
er einen Temenos an, der einst mit 9500
qm fast die Hälfte der 6. Trojanischen
Stadt bedeckte. Seitdem gilt dieser Be-
zirk sicher zu Recht als das mehrfach in der antiken Lite-
ratur überlieferte Heiligtum der Athena Ilias. Dafür spricht
nicht nur die Größe des Tempels, sondern auch das gefun-
dene Inschriftenmaterial. Die Referentin untersuchte dann
im Folgenden die Überlieferungen dieses Heiligtums in
der Geschichte, zeigte Rekonstruktionsversuche des Tem-
pels auf und ging dann auf dessen Metopenfries ein. Ein
Schwerpunkt war dabei die Helios-Metope, die 1872 von
Heinrich Schliemann gefunden wurde.
Sarah Merz, M. A. (München)
„Mycenae“. Eine buchhistorische
Perspektive auf ein internationales
Verlagsprojek
t
Unter einem völlig anderen Aspekt als
sonst betrachtete die Referentin Schlie-
manns Buch „Mykenae. Bericht über
meine Forschungen und Entdeckungen
in Mykenae und Tiryns“. Nicht der Inhalt des Werkes stand
im Mittelpunkt, sondern die Zusammenarbeit vom Autor
mit den Verlegern sowie dessen verlagstechnische Ferti-
gung. Besonderes Augenmerk wurde dabei auf die Zusam-
menarbeit der vier Verlage gelegt, in dem „Mykenae“ in
drei Sprachen – englisch, deutsch und französisch – er-
schien: John Murray in London, F. A. Brockhaus in Leip-
zig, Hachette et Cie in Paris und Charles Scribner and Sons
in New York. Schliemann zeigte sich auch hier als zielstre-
biger, erfahrener Autor und Geschäftsmann.
Dr. Reinhard Witte
(Schliemanngemeinde Ankershagen)
Wie lassen sich Leben undWerk Hein-
rich Schliemanns gerecht beurteilen?
Ein Versuch in 99 Sonntagsvorträgen
Schon seit vielen Jahren plant der Re-
ferent, eine eigene Schliemann-Bio-
graphie zu schreiben. An Material und
Kenntnissen fehlt es nicht. Und dennoch
scheiterte das Projekt bisher an der quälenden Frage: Wie
lassen sich Leben und Werk Heinrich Schliemanns gerecht
beurteilen? Wir wissen viel, sehr viel, manchmal sogar zu
viel über diesen Kaufmann und Forscher. Manchmal könnte
man ihn als gläsernen Menschen bezeichnen. Doch kennen
wir ihn trotz seines ungeheuer großen Nachlasses und sei-
nen zahllosen Veröffentlichungen wirklich? Seit Mai 2003
versucht der Autor, in mittlerweile 99 Sonntagsvorträgen
eine Antwort auf diese Frage zu finden. Von allen, auch den
entferntesten Ecken, sollte sein Leben und Werk beleuch-
tet und letztlich eingeordnet werden. Die Vorträge lassen
sich grob in folgende Themenkomplexe einteilen: Quellen
und Literatur über Schliemann und dessen eigene Quellen
(Homer und Pausanias seien hier genannt) zur Erforschung
der sog. homerischen Geographie. Die Kenntnisse darüber
geben uns die Möglichkeit, über viele Facetten des Privat-
menschen Schliemann zu sprechen, über den Russen und
Frank Kolb
Sybille Galka
Reinhard Witte
Sarah Merz