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wenige, meist zertrümmerte Gefäße, viele Scherben, Holzbalken von Bettgestel-
len [Klinen – A. J.], auf denen die Toten in die Gräber gelegt wurden. Außerdem
stieg er auf die umliegenden Hügel, konstatierte große Ausgrabungen, namentlich
auf dem Hügel, auf dessen Gipfel angeblich der Palast und das Grabmal von Mit-
hridates gestanden haben sollten. Auf dem großen Hügel in der Nähe der Stadt fiel
ihm das in den Felsen eingeschnittene Plateau ins Auge, das als das Plateau des
Mithridates bezeichnet wurde.
Was konnte Schliemann über das antike Pantikapaion wissen? Offenbar war ihm
die Beschreibung bekannt, die der antik-griechische Geograph Strabon (etwa
64/63 v. Chr. – 20 n. Chr.) von der „Hauptstadt der Bosporaner“ gegeben hat:
„Pantikapaion ist ein im Umkreis von 20 Stadien [etwa 3,7 km – A. J.] allerwärts
umwohnter Hügel. Gegen Osten hat es einen Hafen und eine Werft für 30 Schiffe;
auch hat es eine Akropolis und ist eine Gründung der Milesier. Sowohl dieser Ort
als alle benachbarten Pflanzstädte auf beiden Seiten um die Mündung der Maiotes
[= Asowsches Meer – A. J.] wurden lange Zeit von Alleinherrschern regiert“.
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Schliemann müsste oder könnte in diesem Zusammenhang von dem 1854 in St.
Petersburg in reicher Ausstattung (Illustrationen und Karten) herausgebrachten
dreibändigen Werk „Drevnosti Bosfora Kimmerijskogo (= Altertümer vom Kim-
merischen Bosporus) gewusst haben.
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Das Werk hatte in Russlands gebildeter
Oberschicht für großes Aufsehen gesorgt und dürfte auch in Schliemanns Haus,
wenn sich der intellektuelle Zirkel traf, nicht unbemerkt geblieben sein, ganz zu
schweigen von anderen Überblicksdarstellungen oder Berichten, die in Zeitschrif-
ten und wissenschaftlichen Periodika abgedruckt wurden, z. B. in den Abhandlun-
gen der Kaiserlichen Archäologischen Gesellschaft in St. Petersburg.
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Wie war der damalige Stand der Ausgrabungen? Der russische Altertumsforscher
Viktor F. Gajdukevi
č
(1904 – 1966) bemerkte hierzu: „Ausgrabungen der nicht
überbauten Reste von Pantikapaion auf dem Mithridates-Berg wurden im 19.
Jahrhundert von Zeit zu Zeit unternommen, aber weniger, um die Ruinen der an-
tiken Stadt, Straßen und Plätze, gewerbliche Gebäude und Privathäuser, Tempel
und Paläste freizulegen, als zu dem Zweck, nach kostbaren Einzelfunden – In-
18
Strabon 7, 4, 4 (C 309). Zitiert nach Strabon, Geographica (deutsche Übersetzung), Wiesbaden
2005, S. 434.
19
Drevnosti Bosfora Kimmerijskogo (= Altertümer vom Kimmerischen Bosporus), Bd. 1 – 3, St.
Peterburg 1854.
20
Mémoires de la Société Impériale de’ archéologie de St Pétersbourg, St. Pétersbourg, Paris etc.
(von 1847 an). Als Beispiele von Überblicksdarstellungen G. I. Spasskij, Bospor Kimmerijskij s
ego drevnostjami i dostopamjatnostjami (Der Kimmerische Bosporus mit seinen Denkmälern und
Sehenswürdigkeiten), St. Peterburg 1846 oder P. P. Sabat’e, Kertsch i Bospor (= Kertsch und der
Bosporus), St. Peterburg 1851.