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weitem nicht so publikumswirksam und marktschreierisch wie Schliemann später
die Welt über die Erfolge seiner Ausgrabungen informierte. Und es gab einen we-
sentlichen Unterschied: Schliemann hatte ein neue historische Epoche entdeckt.
Die materiellen Hinterlassenschaften im Süden Russlands dagegen brachten le-
diglich Licht in eine durch schriftliche Qellen relativ gut belegte Geschichte des
griechisch-skythischen Altertums im nördlichen Schwarzmeergebiet.
3. Fazit
3. 1. Wenn sich am Jour fixe oder aus anderem Anlass in Schliemanns Petersbur-
ger Haus eine Gruppe von Männern, darunter hochgebildete Personen, zu gesel-
liger Runde traf, sind sicherlich Informationen über die verschiedensten Dinge
des Gesellschaftslebens ausgetauscht worden und ist, ganz natürlich, auch über
Fragen und Errungenschaften wissenschaftlichen Arbeitens gesprochen worden.
In der illustren Runde sind wohl weder Ereignisse wie die Öffnung der Eremitage,
die Tätigkeit der Russischen Archäologischen Gesellschaft in St. Petersburg, der
Buchmarkt, eingeschlossen insbesondere die Prachtausgaben über die entdeckten
Altertümer im Süden Russlands, noch die Fortschritte der internationalen wie rus-
sischen Altertumswissenschaft ohne Kommentar geblieben. Es ist durchaus vor-
stellbar, dass jedes neu erschienene Heft der „Mémoires de la Société Impériale de’
Archéologie de St. Pétersbourg“, die ein breitgefächertes Themenspektrum hatten,
eingehend analysiert wurde. Welche Wirkung hatten diese Gesprächsrunden und
die dort geführten Diskussionen auf Schliemann? Eine klare Antwort darauf gibt
es nicht. Wir wissen auch nicht, wie oft Schliemann, bei seinen vielen Reisen,
auch Geschäftsreisen, an diesen Gesprächsrunden teilgenommen und welche Er-
kenntnisse er dort gewonnen hat.
3. 2. Es mutet auf jeden Fall sonderbar an, dass sich nirgendwo, soweit ich davon
Kenntnis habe, auch nur die Spur einer Andeutung findet, die auf ein frühzei-
tiges Interesse Schliemanns an der Antike bzw. an archäologischen Grabungen
schließen ließe. Es fehlen Hinweise auf die Lektüre altertumswissenschaftlicher
Literatur, auf Besuche in der Eremitage oder von Vorträgen beispielsweise in der
Russischen Archäologischen Gesellschaft. Schliemann lernte die alten Sprachen –
Latein und Altgriechisch, aber wohl doch zu allererst deswegen, um dem Standard
deutschen, wie russischen, ja europäischen Bildungsbürgertums zu genügen. Au-
ßerdem blieb in der russischen Zeit immer auch die Skepsis sich selbst gegenüber,
ob er überhaupt – angesichts der eigenen Bildungslücken – für ein wissenschaftli-
ches Arbeiten geschaffen sei. In dieser Frage machte sich Schliemann nichts vor,
und darüber können auch die bekundeten Liebe und Leidenschaft für die Wissen-
schaft nicht hinweg täuschen.