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derart unglaubwürdig ist, wie sie jetzt von Schriftstellern gesehen wird, die sich

mit ihrer Erforschung befassen; dass die Erzählungen der Historiker eine Wahr-

heit enthalten, die nicht durch mündliche Überlieferung begründet ist, sondern

authentische historische Denkmäler zum Fundament hat“ (diese Arbeit erschien

postum 1895).

10

Allein schon diese positive, wenig voreingenommene Herangehensweise an die

antik-griechischen Quellen, müsste Schliemann, falls er sich damals schon für die

materiellen Relikte antiker Kultur interessierte, für Kutorga eingenommen haben,

zumindest dürfte dieser – gemeinsam mit anderen – bei ihm eine gewisse Vorliebe

für das antike Griechenland geweckt haben.

Kutorga war aber noch in anderer Hinsicht voller Anregungen. Neben seiner

scharfen Kritik am Hyperkritizismus zeichneten ihn 1. seine philosophische Art

des Denkes aus, die sich in einer grundsätzlichen Wertschätzung der Wissenschaft

und ihrer spezifischen gesellschaftlichen Bedeutung äußerte. 2. verlangte er von

den Gelehrten, wenn sie sich ernsthaft mit wissenschaftlichen Fragen und Proble-

men beschäftigten, ein konzentriertes, die Quellen hinterfragendes Arbeiten und,

wie er selbst es praktizierte, die Erschließung noch dunkler, nicht erforschter Ab-

schnitte antiker Geschichte. 3. betonte Kutorga immer wieder, wie unerlässlich die

Kenntnis von Geschichte und Kultur der Antike für einen gebildeten Menschen

sei, weil dort die Wurzeln der europäischen Zivilisation zu finden sind.

11

Hinsichtlich der Zusammenkünfte des illustren Kreises akademisch geschulter

Männer, Kutorga eingeschlossen, ergeben sich einige Fragen, die, wenn überhaupt,

nicht leicht zu beantworten sind. Wie intensiv die Kontakte waren und worüber

während dieser Treffen bei gutem Essen und Tee gesprochen wurde, wissen wir

nicht. Auch den Platz, den Schliemann in dieser Runde einnahm, können wir nur

erahnen. Dass er ein gleichgestellter Partner war, ist wohl zu verneinen. Aber das

Altgriechische, Homer und ganz allgemein Troja (ohne den gewissen „Traum“)

dürften jenes Vehikel gewesen sein, dass es Schliemann erlaubte, sich wenigstens

von Fall zu Fall in die Gepräche einzubringen, akzeptiert zu werden und mitreden

zu dürfen, ohne sich lächerlich zu machen. Wäre das zuletzt Gesagte eingetreten,

hätte es den Zirkel gebildeter Menschen in seinem Hause nicht mehr gegeben.

Zu vermuten ist, dass, wenn man zusammen saß, nicht nur am Rande über alt-

philologische Probleme und die Geschichte des alten Griechenland gesprochen

wurde. Dann leistete wahrscheinlich auch Schliemann mit seiner Homerkenntnis

einen Beitrag. Darüber hinaus wurde offenbar über die Wissenschaft als solche

10

Zitiert bei V. P. Buzeskul, a.a.O., S.304 und E. D. Frolov, a.a.O., S. 134.

11

E. D. Frolov, a.a.O., S. 134f.