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2. knüpft sich daran die nächste Besonderheit. Russland stellte zu Beginn des

18. Jahrhunderts ein gewaltiges Reich von für Europa unfassbarer geographischer

Ausdehnung dar. Dieses Reich musste, um es gut zu verwalten, in seinen sehr

unterschiedlichen Bestandteilen erforscht und topographisch aufgenommen wer-

den. Mehr noch, Peter I. wollte sich ein Bild von den Völkern und ihren Kulturen

machen, die in den Grenzen des russischen Reiches lebten.

3. war es dieser zentralstaatliche Ansatz (im kleinstaatlichen Deutschland un-

denkbar), der den Zaren veranlasste, das Sammeln, die Erforschung und auch den

Schutz der Altertümer zu regeln. In einem Ukas von 1718 wurde deshalb befohlen:

„wenn irgendwer in der Erde oder im Wasser irgendwelche altertümliche Dinge

findet als da wären ungewöhnliche Gesteinsstücke, menschliche oder tierische

Knochen, Reste von Fischen und Vögeln, nicht von solchen, wie es sie heute gibt,

... ebenso irgendwelche alte Inschriften auf Steinen, Eisen oder Kupfer, oder alte

ungewöhnliche Waffen, Geschirr und all das, was heute alt und ungewöhnlich ist,

der soll das abliefern, wofür er ein zufriedenstellendes Entgelt erhalten wird“.

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Von da an gehörte die archäologische Forschung in Russland zu den zentralstaatli-

chen Regalien. Sie war folglich nicht nur eine Angelegenheit von Spezialisten. Sie

war vielmehr auch ein entscheidendes Stück russischer Kultur, ihrer Geschichte

und ein Element russischer Identität. 1859, Schliemann lebte schon gut zehn Jahre

in Russland, wurde die staatliche Archäologische Kommission eingerichtet.

4. Um die archäologischen Erkundungen voran zu treiben, holte Peter I. westeu-

ropäische Gelehrte ins Land bzw. schickte geeignete Landeskinder zum Studium

ins Ausland. Einer der ersten ausländischen Wissenschaftler, der im weit gefas-

sten zentralstaatlichen Auftrag in Sibirien tätig wurde, war Daniil Gottlieb Mes-

serschmidt (1685 – 1735), der nicht nur eine Reihe von Hügelgräbern am Jenisej

erforschte, sondern recht genaue topographische, botanische, mineralogische, eth-

nographische, sprachwissenschaftliche und historische Beschreibungen der von

ihm bereisten Gegenden Russlands lieferte.

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5. Der für uns ausgesprochen relevante Süden Russlands, die Ukraine einge-

schlossen, wurde erst nach dem Russisch-Türkischen Krieg von 1787 – 1791

dem russischen Reich auf Dauer angegliedert, obwohl die Krim bereits 1783 an

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Polnoe sobranie zakonov Rossijskoj imperii (= Vollständige Sammlung aller Gesetze des Russi-

schen Imperiums), 1. Sammlung in 45 Bd., Bd. 5, No. 3159. Zit. nach A. A. Formozov, Puškin i

drevnosti. Nabljudenija archeologa (= Puschkin und die Altertümer. Beobachtungen eines Archäo-

logen), Moskva 1979, S. 7f.

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Daniel G. Messerschmidt, Forschungsreise durch Sibirien (1720 – 1727). Teil 1 (1720 – 1722), Teil 2 (1723 – Mai

1724), Berlin 1962 – 1964. Messerschmidts Reiseberichte und Tagebuchnotizen sind eine bis heute wichtige und

unübertroffene historische Quelle zur Geschichte und Ethnographie Russlands.