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2.4. Odessa

Am 30. August 1866 um 11 Uhr vormittags kam Schliemann auf dem Seewege

in Odessa an. Er blieb mehrere Tage in der Stadt, füllte sein Tagebuch mit den

unterschiedlichsten, oft seltsamsten Beobachtungen, machte aber – wie in Seva-

stopol – keinerlei Angaben archäologischer Art. Zumindest hätte er Olbia, diese

bedeutende antike Stadt, erwähnen können, die zwar etwas abseits an der Bucht

(Liman) lag, in die der Bug mündet. Dass er nichts mitteilt, ist andererseits ver-

ständlich. Zwar wurden in Olbia, wie an anderen antiken Stätten auch, seit dem

18. Jahrhundert Grabungen eher zufälliger Art durchgeführt, doch die eigentliche

systematische archäologische Erforschung des ausgedehnten Arreals setzte erst

gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein und wurde im 20. Jahrhundert in großem

Maßstab mit Erfolg fortgeführt.

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2.5. Die Hügelgräber (Kurgane)

Die Hügelgräber in den südrussischen Steppen waren nicht zu übersehende Boden-

denkmäler. Noch im 1. Viertel des 19. Jahrhunderts war im Süden Russlands die

Ansicht weit verbreitet, dass es sich bei den Kurganen um nichts anderes handele

als Erdaufschüttungen, künstliche Hügel, von denen aus Wachtposten die Gegend

überblicken und die Bewegungen der Tataren und Kosaken verfolgen und melden

sollten.

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Bei Alexander Puschkin (1799 – 1837) in „Der kaukasische Gefangene“

(1820/1821) heißt es: „Von des Kurgans Höhe, auf die Lanze gestützt, Kosaken

schauen auf des Flusses dunklen Lauf“ oder „und von den Kurganen melden sich

durch Zuruf die wachsamen Kosaken“.

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Inzwischen jedoch waren in den wenigen

ausgegrabenen Kurganen sensationelle Funde gemacht worden, die natürlich den

gebildeten Teil der russischen Gesellschaft bewegten und damals in aller Munde

waren. 1831 wurde in der Nähe von Kertsch, wo sich die wohl reichste Kurgan-

Nekropole des antiken Bosporanischen Reiches befand, im Hügelgrab Kul’ Oba

zufällig die Bestattung eines skythischen Fürsten aus dem 4. Jahrhundert v. u. Z.

entdeckt: ein Grabgewölbe mit Sarkophagen, Skeletten und überaus kunstvollen

Grabbeigaben aus Gold und Elfenbein. Berühmt wurde die Vase aus Elektron, ei-

ner (natürlichen) Legierung aus Gold und Silber, mit realistischen Szenen aus dem

Leben der Skythen. Ein Krieger verbindet dem anderen eine Wunde am Unter-

schenkel, ein weiterer Skythe hilft seinem Gefährten beim Zähneziehen, ein dritter

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Ebenda, S. 360f.

28

A. A. Formozov, a.a.O., S. 26.

29

A. S. Puschkin, Werke. Jubiläumsausgabe des Puschkin-Komitees, Berlin 1937, S. 350, 359 (Werke

in einem Band). In Ermangelung eines „deutschen“ Puschkins – die eigene Übersetzung in Prosa.