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Natürliche Ressourcen
Oft wird Kleinasien als Brückenkontinent zwischen Asien und Europa bezeichnet,
aber damit ist seine Einzigartigkeit kaum ausreichend charakterisiert. Afrika ist so
nah, dass die Behauptung gerechtfertigt scheint, hier verbinden sich die Landwege
von sogar drei Kontinenten mit den Küsten von vier Meeren: dem Kaspischen
Meer, dem Schwarzen Meer, der Ägäis und dem östlichen Mittelmeer. Nirgendwo
sonst auf der Welt ergibt sich eine ähnlich begünstigte geostrategische Konstella-
tion, noch dazu in einem für menschliche Siedlungen überaus angenehmen Klima.
Die üppigen natürlichen Ressourcen dürften ein Grund dafür gewesen sein, dass
wichtige Errungenschaften der Zivilisation wie Sesshaftigkeit, Ackerbau, Vieh-
zucht, Metallverarbeitung und später das Münzwesen in dieser Region ihren An-
fang nahmen. Denn vor der Entstehung der Wissensarbeit im 20. Jh. waren vor
allem die natürlichen Ressourcen einer Region ausschlaggebend für den Erfolg
ihrer Gesellschaften. Dazu zählen die geopolitische Lage, Lagerstätten, Naturstei-
ne, ganzjährige Niederschläge, Flussläufe, Waldvorkommen und landwirtschaft-
liche Nutzflächen. Kleinasien ist dank seiner erdgeschichtlichen Entwicklung und
geografischen Lage in jeder dieser Kategorien reich gesegnet.
Auch im Hinblick auf Bodenschätze findet sich kaum eine andere Gegend im öst-
lichen Mittelmeergebiet, die so reich wäre wie Westkleinasien. Die Region um
Troja verfügt über Bleizinkerze, Kupferlagerstätten und Goldvorkommen, die be-
reits in prähistorischer Zeit ausgebeutet wurden.
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Noch berühmter für sein Gold
war Sardes, das ebenfalls im Westen Kleinasiens liegt und der Königssitz von
Kroisos war, dem sprichwörtlich reichsten Menschen der Weltgeschichte.
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Der Fernhandel mit Segelschiffen brachte ab 3000 v. Chr. die Möglichkeit, Reich-
tum anzuhäufen, wobei die geopolitische Lage der Hersteller, Händler und Emp-
fänger einen hohen Stellenwert einnahm. Die Siedlungen in Westkleinasien waren
strategisch günstig gelegen, um im Fernhandel mitzuwirken.
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Vor der Erfindung
des Münzwesens (im 7. Jh. v. Chr. in Westkleinasien) galt der Besitz von Metallen
als allgemein anerkannter Wertmaßstab. Herrscher in Regionen mit reichhaltigen
Bodenschätzen konnten vermögend und mächtig werden. Die hier vorgestellte
Karte mit der Verbreitung der bekannten Bodenschätze sowohl in Griechenland
wie auch in Kleinasien (Abb. 1) zeigt drei Regionen mit besonders reichen Metall-
vorkommen: die Troas, das Gebiet um Sardes und das griechische Makedonien.
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Strabon 13.1.23.
19
Siehe Klinkott 2015, S. 578.
20
Günel 2005; Greaves 2010, S. 879.