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chischen Festland, auf Kreta und Zypern sowie auf den Ägäischen Inseln. Erst-
mals haben wir die bekannten Lagerstätten von Erzen, die in der Mittel- und Spät-
bronzezeit in dieser Region ausgeschöpft wurden (Gold, Silber, Kupfer und Blei),
in einer Karte zusammengetragen (siehe Abb. 1). Um die räumliche Auswertung
zu erleichtern, wurde jede Lagerstätte geokodiert und eine Rastergrafik erstellt,
in der für jeden Pixel der Abstand zur nächsten Mine oder Fundstätte bestimmt
wurde. Mit dem gleichen Ansatz wurden Flüsse und Handelswege erfasst. Wir
hatten aus der Literatur eine Reihe großmaßstäblicher Karten mit bronzezeitlichen
Handelswegen gesammelt, die jedoch kaum Überschneidungen zeigten. Aus die-
sem Grund zogen wir den
Barrington Atlas of the Greek and Roman World
heran
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und übertrugen die Wege des geringsten ökonomischen Aufwands zwischen den
Hauptsiedlungen, von denen bekannt ist, dass sie an Handelsrouten lagen.
Über einen Zeitraum von drei Jahren hat der Erstautor fast alle Ausgrabungen spät-
bronzezeitlicher Fundstätten inWestkleinasien besucht. Diese Inaugenscheinnahme
war besonders wichtig, um jede Ausgrabung in ihrer geografischen Lage zu erfas-
sen. Zusätzlich wurden möglichst viele Tellsiedlungen besucht, deren Durchmes-
ser grösser als 200 Meter ist. Bei einem Untersuchungsgebiet, das etwa der Größe
Deutschlands entspricht, darf allerdings keine Vollständigkeit erwartet werden.
Es besteht die Hoffnung, dass neue Entdeckungen am Übergang von der prä-
historischen zur historischen Zeit dazu führen, dass die Methodik der etablier-
ten Archäologie hinterfragt wird. Der methodische Fortschritt in der Ägäischen
Frühgeschichte der letzten vierzig Jahre kann sich nicht mit dem messen, was
naturwissenschaftliche Disziplinen wie Physik, Chemie, Biologie und Geologie
oder die Medizin in dieser Zeit durchlaufen haben. Die eigentliche Entdeckung
der bronzezeitlichen ägäischen Kulturen geht schließlich auch auf einen Amateur,
Heinrich Schliemann, zurück. Indem er Kulturkreise erschloss, die rund tausend
Jahre älter waren als die klassische Antike, brachte er die Meinungsführer der
damaligen Altertumskunde in Verlegenheit. Sie reagierten, indem sie das bereits
für die klassische Antike etablierte Wissen auf die prähistorische Zeit extrapolier-
ten. Noch heute sind im deutschsprachigen Raum als Klassische Archäologen und
Altgeschichtler ausgebildete Forscher Meinungsführer für die Belange der Ägäi-
schen Bronzezeit. Dabei wurde bisher außer Acht gelassen, dass sich zwischen der
mykenischen und der klassischen Epoche ein einschneidender Wechsel vollzog:
Erst nach der Eroberung von Lydien durch das Perserreich war der östliche Mittel-
meerraum hellenistisch geprägt. Zuvor erfolgte der Kulturstrom jahrtausendelang
von Ost nach West. Die Verhältnisse ab der Mitte des 6. Jh. v. Chr. lassen sich
daher nicht auf frühere Epochen übertragen.
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Talbert 2000.