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das einst Winckelmann mit der Seele gesucht hatte“, (ich möchte ergänzen: auch
Goethes Iphigenie) „lag jetzt offen da vor den Blicken aller, die Augen hatten zu
sehen.“
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Viele bedeutende Einzelfunde, wie die Venus von Melos (entdeckt 1820), die Dar-
stellung derAlexanderschlacht (1831 in Pompeji in der casa di Goethe, dann umbe-
nannt in: casa del Fauno), und die Farbigkeit antiker Gebäude und Statuen wurden
in der Folgezeit entdeckt. Archäologische Gesellschaften und Schulen entstanden,
darunter die Gründung des „Institutes für archäologische Korrespondenz“ in Rom
(1828/29), das in der Folgezeit den größten Einfluss auf die archäologischen For-
schungen ausübte. Grabstätten der Etrusker, antike Keramik und Malerei wurden
untersucht (s. viertes Kapitel: „Die Grabstätten Etruriens und die antike Malerei“,
S. 52-70), Funde in den Museen wissenschaftlich katalogisiert und neu betrachtet.
Im fünften Kapitel „Entdeckungen im Osten“ (S. 71-90) geht Michaelis auf die
großen Entdeckungen in Ägypten und Vorderasiens ein. Uns bekannte Namen von
Archäologen und Ausgrabungsorten werden behandelt: Richard Lepsius (1810-
1884), Paul Émile Botta (1802-1870), Henry Austin Layard (1817-1894) und
Charles Thomas Newton, den Michaelis besonders als Vermehrer der Sammlung
des British Museums preist. Kritik übt der Autor an der Arbeit am Tempel der Arte-
mis bei Ephesos durch James Turtle Wood (1821-1890): „Aber das Bemühen jene
Skulpturwerke aus der Tiefe emporzuschaffen, führte zu arger Rücksichtslosigkeit
gegen die Tempelanlage als Ganzes, deren Rätsel denn auch nicht sicher gelöst
ward“
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Schliemanns fast gleichzeitige erste Ausgrabungen auf dem Hügel Hisar-
lık lassen grüßen! Auch er ging anfangs rücksichtslos auf dem Ausgrabungsfeld
vor, um so schnell als möglich den Beweis zu erbringen, dass es ein homerisches
Troia gegeben hat. Geduld war seine Sache nicht! Seine Hastigkeit im Graben
mit zu vielen Arbeitern (bis 150) hat ihre Ursache aber auch darin, dass er seinen
vielen Kritikern und Spöttern
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eiligst den „Wind aus den Segeln“ nehmen wollte.
Im sechsten und siebenten Kapitel („Griechische Kultstätten“, S. 91-132; „Antike
Stadtanlagen“, S. 133-174) beschäftigt sich Michaelis mit griechischen Heilig-
tümern und antiken Stadtanlagen und der wachsenden Kenntnis darüber durch
Ausgrabungen und Forschungen. Mit Einzelfunden und Untersuchungen einzel-
ner Bauwerke gab man sich nicht mehr zufrieden, es sollte ein Ganzes von einem
Ort entstehen. Das konnte nur durch die Hinzuziehung geschulter Architekten
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Michaelis 1906, S. 41.
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Michaelis 1906, S. 86.
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Schliemann war eine bevorzugte Person des Spotts in der satirischen Wochenschrift „Kladdera-
datsch“, s. dazu Witte 2004.