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Ist diese Beurteilung heute im 125. Todesjahr des berühmten Kaufmanns und For-

schers noch aktuell? Ich glaube schon.

Michaelis weiter: „Damals glaubte alle Welt, das homerische Troja habe auf der

Höhe von Bunarbaschi, über dem Austritt des Skamandros in die Ebene, das neue

Ilion auf dem Hügel von Hissarlik gelegen; Schliemann grub, von Frank Calvert

aufmerksam gemacht, in Hissarlik und fand das alte Troja. In Mykenä würde

nicht leicht irgend jemand auf den Gedanken gekommen sein, unmittelbar hinter

dem Löwentor zu graben; ein Mißverständnis der Worte des Pausanias bewog

Schliemann hier nach den Gräbern der Atriden zu suchen, und er fand, wenn auch

nicht gerade diese, so doch eine noch ältere, noch überraschendere Gräberstätte.

In Tiryns lag scheinbar eine so dünne Erdschicht über dem Felsen, daß eine Aus-

grabung kaum Lohn zu versprechen schien; Schliemann griff sie an und legte das

Muster einer homerischen Herrenburg bloß.“

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Schliemann deckte eine unbekannte, die „homerischen Welt“ auf. „Stets wird die

Wissenschaft Schliemann für dies unleugbare und unschätzbare Verdienst dankbar

bleiben; sein Name ist mit dieser homerischen Welt für immer verknüpft, und gern

wird man auch der edlen Griechin gedenken, die hochherzig alle Sorgen und Mü-

hen, dafür auch alle Erfolge und allen Ruhm mit ihrem Gatten geteilt hat.“

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Wo

lesen wir bei den Kritikern Schliemanns diese anerkennenden Worte von Adolf

Michaelis? Zumeist wird nur zitiert: „Er war Dilettant auch im Ausgraben, ohne

eine Ahnung, daß es eine Methode und eine feste Technik dafür gebe; er war Dil-

letant in architektonischen wie in archäologischen Dingen.“ Das Zitat geht dann

noch weiter: „Ihm erschien es selbstverständlich, daß die Zeugnisse der homeri-

schen Vorzeit nur in der größten Tiefe gesucht werden dürften. So kam es, daß er

wohl in Hissarlik die Stätte des alten Trojas erkannte, aber in ungezügeltem Tie-

fensinn seine Schachte so unaufhaltsam in den Berghügel hineintrieb, daß er den

wichtigsten Teil der wirklich homerischen Burg für immer zerstörte. Er machte

erst Halt bei der zweituntersten Kulturschicht, wo er die Reste der ‚gebrannten

Stadt‘ aufdeckte, seiner Meinung nach das von den Griechen zerstörte Troja, in

Wirklichkeit eine viel ältere, viel primitivere Ansiedlung.“

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Er hätte keine wissenschaftliche Betrachtungs- und Behandlungsweise gehabt,

keinen Sinn für Geschichte und Kunst. Dieser Kritik konnte sich auch Adolf Mi-

chaelis, teils zu Recht, teils zu Unrecht nicht entziehen. Der

deus ex machina

war,

wie auch schon in der zusammenfassenden Betrachtung der Schliemannschen

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Michaelis 1906, S. 183.

35

Michaelis 1906, S. 184.

36

Michaelis 1906, S. 184 f.