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Viertens nenne ich meine Gegner aus

Gründen

. Denn da ich ein Mensch bin

und als solcher menschliche Fehler und Schwächen habe, so können auch meine

Schriften davon nicht frey seyn. Da es mir aber mit meiner Bildung ernst war und

ich an meiner Veredelung unablässig arbeite, so war ich im beständigen Fortstre-

ben begriffen, und es ereignete sich oft, daß sie mich wegen eines Fehlers tadelten,

den ich längst abgelegt hatte. Diese Guten haben mich am wenigsten verletzt; sie

schossen nach mir, wenn ich schon meilenweit von ihnen entfernt war. Überhaupt

war ein abgemachtes Werk mir ziemlich gleichgültig; ich befaßte mich nicht wei-

ter damit und dachte sogleich an etwas Neues.

Eine fernere große Masse zeigt sich als meine Gegner aus

abweichender Den-

kungsweise und verschiedenen Ansichten

. Man sagt von den Blättern eines Bau-

mes, daß deren kaum zwey vollkommen gleich befunden werden, und so möchten

sich auch unter tausend Menschen kaum zwey finden, die in ihrer Gesinnungs-

und Denkungsweise vollkommen harmonieren. Setze ich dieses voraus, so sollte

ich mich billig weniger darüber wundern, daß die Zahl meiner Widersacher so

groß ist, als vielmehr darüber, daß ich noch so viele Freunde und Anhänger habe.

Meine ganze Zeit wich vor mir ab, denn sie war ganz in subjectiver Richtung

begriffen, während ich in meinem objectiven Bestreben im Nachtheile und völlig

allein stand.“

5

Ob sich Kritiker Schliemanns – und dabei denke ich zuerst an Sensationsjourna-

listen und sog. Bestsellerautoren – wohl ähnlich klassifizieren lassen? Als Leiter

des Heinrich-Schliemann-Museums Ankershagen muss ich mich auch mit solchen

Fragen beschäftigen, denn ich erlebe hin und wieder bei Besuchern, Journalisten

und Politikern nur die einseitige Kenntnis über Schliemann: seine Schwächen und

negativen Seiten. Das beginnt mit der Bezeichnung Schliemanns als Schlitzohr

und Betrüger und endet beimWaffenhändler im Krimkrieg und Fälscher von Fun-

den. Museumsbesucher können ihr Bild über Schliemann revidieren, gute Jour-

nalisten machen das auch, bei Politikern ist das Ganze problematischer. Als ich

kürzlich den Ministerpräsidenten Mecklenburg-Vorpommerns zu einem Besuch

ins Museum einlud, kam als Erstes die Bemerkung: „Na, da gibt es aber doch viele

Fragen über den Mann.“ Recht hat er. Doch man muss auch bereit sein, die Fragen

nicht nur im Raum stehen zu lassen, sondern die Antworten darauf zu suchen.

Das Schliemannbild in der Öffentlichkeit, da sollten wir uns in unserem Kreise

von Schliemannforschern und –freunden nichts vormachen, wird von den Me-

dien bestimmt. Sie suchen sich aus unseren Forschungsergebnissen das aus, was

5

J. P. Eckermann, Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens: Mittwoch, 14. April

1824. Zitiert nach der 23. Originalausgabe, Leipzig 1948, S. 86 f.