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reich menschlicher Existenz eingesenkt. Die jüngere, die negative Form der Eris

wurde, personifiziert als Schwester und Gefährtin des Ares, zur Urheberin von

Kampf und Streit, zum Sinnbild für Zank, Zwietracht und – als „Ausartung ins

Große“ – des Krieges.

4

„Die Hülle und Fülle des Agonalen“, um noch einmal Burckhardt heranzuziehen,

„findet sich als üblich und selbstverständlich bei Homer“.

5

Die „Ilias“ selbst, als

Ganzes betrachtet und bezogen auf den Troianischen Krieg, ist nichts anderes als

die Darstellung eines gewaltigen militärischen Gruppenagons.

6

Zwar schrumpft

die zehnjährige Auseinandersetzung im neunten/zehnten Jahr des Krieges auf

nur 51 Tage des Kampfgeschehens, aber der Eindruck der Großartigkeit des

Kampfes, nicht eines Kampfspieles, sondern Krieges mit all seinen Grausam-

keiten, bleibt bestehen. Dennoch, es war nicht der Troianische Krieg, der den

Dichter vordergründig beschäftigte. Es war vielmehr der Groll des Achill, dessen

gleichfalls agonale Auseinandersetzung mit Agamemnon, die der Dichter zum

zentralen Gegenstand seines Vortrages machte. Hinzu trat noch – sofort mit dem

Beginn der „Ilias“ - jene dritte und treibende Kraft, welche das Handeln der bei-

den Protagonisten und das Schicksal Troias vorbestimmte: die Götter mit ihrem

unter sich geführten Agon, bezogen immer auf die Gefechte und Zweikämpfe der

Menschen vor Troias Mauern. „Den Zorn des Peliden Achilleus besinge, Göttin,

den verfluchten Zorn! Er brachte den Achaiern eine Unzahl von Qualen, viele

tapfere Heldenseelen warf er dem Hades vor, ihre Leiber machte er den Hun-

den zum Fraß; so erfüllte sich der Wille des Zeus. Beginne das Lied mit dem

Ursprung des Zorns, als es im Streit erstmals zum Bruch kam zwischen dem

Atriden, dem Feldherrn des Heeres, und dem göttlichen Achilleus! Wer von den

Göttern hetzte die beiden im Streit aufeinander zum Kampf?“ So lauten die ers-

ten Verse der „Ilias“ (Il. 1, 1-9).

7

I.

Bereits Ulrich von Wilamowitz-Moellendorf hatte klar erkannt, dass nicht der

Troianische Krieg das zentrale Thema der „Ilias“ war, sondern Achill: Achill

4

J. Burckhardt, GK 4, S. 93f.

5

Ebenda, S. 90.

6

Ch. Meier, Kultur um der Freiheit willen, S. 112: „Insofern tragen die Helden einen Agon

aus, einen Wettstreit. In ihm muß sich ihre aretē, ihre Bestheit erweisen – nicht zuletzt vor der

Nachwelt. Einer mißt sich am anderen. Griechen gegen Trojaner und die Helden unter sich“.

7

Bei deutschen Homerzitaten verwende ich nicht die Voßsche Homerübersetzung der „Ilias“, son-

dern halte mich an die verständlichere und genauere Prosaübersetzung von Gerhard Scheibner:

Homer, Ilias, Bd. 1 - 2, in Prosa übertragen von G. Scheibner, Berlin/Weimar 1972