220
Parchim, Lübz, Malchow, Waren und Möllenhagen nach Ankershagen, seinem
Heimatdorf, in dem er acht Jahre seiner Kindheit verbracht hatte und das er nach
20-jähriger Abwesenheit wieder sah. Seine Eindrücke vom Wiedersehen des Or-
tes seiner Kindheit nach so vielen Jahren schilderte er in seinem Amerikatage-
buch (1850-1852):
,,Unmöglich kann ich den Eindruck beschreiben, den der Anblick all jener Plätze
in mir erweckte, wo ich die glücklichen Jahre meiner frühen Kindheit verbracht
hatte und wo jedes Haus, jeder Baum, jeder Stein und jeder Busch tausend schö-
ne Erinnerungen an längst vergangene Jahre erweckte. Jeder Gegenstand muss
dem Auge eines Kindes wohl in riesenhaften Verhältnissen erscheinen, denn der
Kirchturm, der mir einst ungeheuer groß erschienen war und den ich immer für
den größten der Welt gehalten hatte ... nun erschien mir alles ganz klein ... Ich
fand meine Initialen H. S. auf den Fensterscheiben des Hauses, in dem wir ge-
wohnt hatten, in den Bäumen des Gartens und im Hof, denn als Kind hatte ich
die Gewohnheit, sie überall einzuschneiden ... Der gegenwärtige Pastor Conradi
erwies mir jede Gefälligkeit und begleitete mich zur Kirche und zum Grabe mei-
ner Mutter ...“
2
Heinrich Schliemann blieb nur ein paar Stunden. Mit einem vom Gastwirt gemie-
teten Pferdefuhrwerk ließ er sich nach Vipperow an der Müritz fahren, um seine
Schwester Dorothea zu besuchen, die dort bei ihrem Onkel Wachenhusen lebte.
,,Ich kam dort abends um neun an und fuhr am nächsten Morgen um vier über
Röbel, Waren (wo ich Bahlmann, einen alten Freund meines Vaters, besuchte),
Teterow und Güstrow nach Rostock, und von dort fuhr ich am folgenden Mor-
gen mit dem Dampfer ,,‘Erbgroßherzog Friedrich Franz‘ nach Kronstadt und St.
Petersburg“, vermerkte Schliemann in seinem Tagebuch. Am 4. August traf er
wieder „in dieser wunderschönen Hauptstadt Rußlands“ ein.
3
Schliemann, stets in Zeitnot und von seinen Geschäften getrieben, hatte immer
ein dicht gedrängtes Reiseprogramm zusammengestellt, das er minutiös reali-
sierte. Für Nebensächlichkeiten und Erholungspausen hatte es keinen Platz; jede
freie Minute wurde von ihm genutzt. So kann man auch auf dieser ersten Meck-
lenburgreise davon ausgehen, dass er in der Kürze der ihm zur Verfügung stehen-
den Zeit nur ihm wichtig erscheinenden Personen einen Besuch abgestattet hat.
Das müsste auch auf Bahlmann in Waren zutreffen, den er in seinem Reisetage-
buch nur beiläufig erwähnt.
2
H. Schliemann, Amerika-Tagebuch 1850-1852. In: H. A. Stoll, Abenteuer meines Lebens -
Heinrich Schliemann erzählt, Leipzig 1958, S. 149 ff.
3
S. Anm. 2, S. 151.




